Schwimmer

Die Schwimmhilfen für Veränderung

Scrum, Kanban, Management 3.0, Lean, Agile Organisation – diese und andere Begriffe geistern durch unterschiedlichste Branchen. Evangelisten unterschiedlicher Ideen diskutieren über das Für und Wider verschiedener Ansätze und versuchen sich gegenseitig von besten Wegen zu überzeugen.

Diskussionen dieser Art erlebe ich als bereichernd, weil kluge Köpfe zusammen kommen und Ideen austauschen. Oft geschieht diese Diskussion interessiert und auf Augenhöhe. Eine wesentliche Frage bleibt dabei hängen: Gibt es überhaupt den besten Weg?

Eine Frage: Wenn ich das Ziel habe, ein schweres Bild mittels mehrerer Schrauben an der Wand zu befestigen – gibt es da den einzig richtigen Schraubendreher? Ich bin kein Handwerker, würde aber sagen: nein, den gibt es nicht. Wovon hängt es ab, ob ich einen Kreuzschlitz-Schraubendreher oder nur einen Schlitz-Schraubendreher (oder in Anlehnung an King Of Queens einen Arthur-Schraubendreher) verwende?

Es gibt viele Faktoren: Untergrund, zur Verfügung stehende Schraube, Erfahrung mit dem Schraubendreher, persönliche Vorlieben und sicher noch einige mehr. Wenn es mir gelingt, die Schrauben in den Untergrund zu drehen und das Bild aufzuhängen, habe ich mein Ziel erfüllt.

Ich frage nochmal: gibt es den einen richtigen Schraubendreher? So wie es unterschiedliche Schraubendreher gibt, hat jeder Arbeitsprozess das Ziel, die Arbeit optimal zu organisieren und knüpft (idealerweise) an der sehr variablen Ausgangssituation an.

Wichtiger als die Frage des Werkzeugs ist die Frage, welches Ziel ich habe und womit ich dieses Ziel auf Basis der Ausgangssituation erreiche. Und so sind Methoden wie Scrum oder Kanban nur Mittel zum Zweck.

Um einem Kind das Schwimmen beizubringen, gibt es viele unterschiedliche Schwimmhilfen vom Schwimmbrett über Schwimmflügel bis hin zu Schwimmwesten und Schwimmkursen. Welches oder welche Mittel verwendet werden, das hängt von verschiedenen Rahmenbedingungen und konkreten Zielen ab.

Wenn es nicht um die Methode selbst geht, worum geht es eigentlich bei der Einführung agiler Methoden wie Scrum oder Kanban? Es geht um Veränderung und Verbesserung. Unternehmen wollten früher und wollen heute einen hohen Wert erzeugen (unabhängig ob es dabei um Gewinn oder Sinn ging und geht). Die Rahmenbedingungen haben sich von früher zu heute grundsätzlich geändert. In der komplexen Gegenwart werden Aufgaben immer mehr nur noch von Teams zu lösen sein. Sich verändernde Wünsche der Mitarbeiter an ihr Arbeitsumfeld und nicht zuletzt der wirtschaftliche Zwang, schneller reagieren und agieren zu müssen, lassen ein Top-Down Management mit langen Entscheidungswegen weit weg vom Kunden nicht mehr zu. Ein Bottom-Up Ansatz verträgt sich aber nicht immer mit Situationen, in denen Mitarbeitende erfahrungsbasiert und systembedingt noch nicht eigenverantwortlich arbeiten und das Management noch nicht Zutrauen, Aufgaben und Verantwortung abzugeben.

Will ein Unternehmen gerade in der Softwareentwicklung heute erfolgreich sein und bleiben (also einen hohen Wert erzeugen), braucht es neue Arbeitsprozessen. Wir brauchen also Methoden, die einen Change-Prozess unterstützen.
Methoden wie Scrum und Kanban sind ein Mittel zum Zweck und eine gute Ausgangsbasis und ein guter Treiber für die Veränderung in Organisationen. Sie sind ein Werkzeug, eine Schwimmhilfe. Die Veränderung beginnt oft bei einzelnen Teams, eine Veränderung der konkreten Arbeitsprozesse durch die Einführung agiler Methoden reicht aber nicht aus. Um auf die neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen adäquat reagieren zu können, müssen sich Unternehmen hin zu einer agilen Organisation entwickeln.

In einer idealen Welt sind Mitarbeiter motiviert und arbeiten eigenverantwortlich, Unternehmen und deren Manager vertrauen ihren Mitarbeitern und unterstützen sie bei ihren guten Ideen. Lieferanten, Dienstleister und Kunden arbeiten partnerschaftlich zusammen. Alle berücksichtigen wirtschaftliche Faktoren und persönliche Wünsche stehen im Einklang mit den Wünschen von Team und Unternehmen. In dieser idealen Welt arbeiten alle Mitarbeiter des gesamten Unternehmens hochmotiviert und mit höchster Performance und höchster Zufriedenheit zusammen.

In der realen Welt ist das noch nicht so und wird vielleicht nie völlig so sein. Die Richtung ist trotzdem die richtige. Um sich diesem Ideal zu nähern, müssen Unternehmen und deren Mitarbeiter durch einen Veränderungsprozess gehen und neue Rollen und Regeln, wie sie beispielsweise Scrum prozessimmanent mitbringt, helfen dabei. Wenn Menschen zusammen arbeiten, wird es immer Prinzipien, vielleicht manche Rahmen und Regeln geben, idealerweise von den Betroffenen selbst definiert.

Bis ich gut genug schwimmen kann, brauche ich die eine oder andere Schwimmhilfe. Je besser ich schwimmen kann, umso weniger muss ich mich auf Schwimmhilfen verlassen. Nach dem Shu kommt das Ha und dann erst das Ri. Bei der Wahl der Schwimmhilfen gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur ein mehr oder weniger wirksam. Die Entscheidung über den Einsatz sollten die treffen, die mit der Schwimmhilfe arbeiten müssen. Eine zentrale Vorschrift wird der Einzigartigkeit der Aufgaben, Menschen und Teams nicht gerecht. Methoden wie Scrum oder Kanban können gleichermaßen solche Schwimmhilfen hin zu einer veränderten und besseren Form der Zusammenarbeit sein.

(Das Bild ist von Iulia Melicenco – vielen Dank!)

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