Die These: Fehler seien in Unsicherheit nicht vermeidbar und eine gute Grundlage, um zu lernen. Dazu möchte ich eine andere Perspektive aufmachen: Fehler passieren nicht aus Unsicherheit, sondern aus fehlendem Wissen. Was in Unsicherheit unvermeidbar passieren wird, das sind Irrtümer. Fehler hingegen sind eine Abweichung von einer Erwartung oder Norm. Sie sind durch ausreichendes Wissen und Können vermeidbar.
Vorab: Am letzten Tag im Jahr 2024 habe ich einen Beitrag zu Fehlerkultur “Fehlerkultur: Brauchen wir auch in 2025 nicht!” auf der Plattform LinkedIn veröffentlicht. Neben viel Bestätigung habe ich ein paar ergänzende kritische Stimmen bekommen. Darunter auch zwei Rückmeldungen, die ich in der folgenden Version noch eingearbeitet habe. Dabei ging es zum einen um eine Anmerkung zum Begriff Unsicherheit, zum anderen zu Fehlerkultur an sich.
Fehler und Irrtum
Ich halte es für wichtig, Fehler und Irrtum zu trennen. Denn es gibt genügend Kontexte, in denen Fehler drastische – beispielsweise tödliche – Konsequenzen haben können. Niemand wünscht sich eine lockere Fehlerkultur bei Ärzten, Piloten, Feuerwehr oder Zugführern und Fehler bei der Polizei stehen immer wieder in der Kritik. Es gibt gleichzeitig ganz viele Kontexte, in denen irren menschlich ist.
Unternehmen, in der Fehler als unvermeidbar hingenommen werden, drohen in Mittelmäßigkeit abzudriften. Etwas überspitzt sehe ich die Gefahr, dass genau das ausbleibt, was man sich von einer „Fehlerkultur“ wünscht: Wenn Fehler generell akzeptiert werden, gibt es keine Notwendigkeit, aus ihnen zu lernen.
Wir machen es uns dann zu einfach. Viele Fehler passieren nicht unvermeidbar, sondern aufgrund fehlender Verlässlichkeit, Unachtsamkeit oder Ungenauigkeit – böse formuliert – wegen Schlamperei. Wir reden viel darüber, nachdem wir die Fehler erkannt haben. Wir formulieren Maßnahmen, ändern aber in der ach so toleranten Fehlerkultur nicht die Dinge, die wichtig wären. Warum? Weil deren Änderung häufig mühsam wären, jeden fordern würden und unbequeme individuelle Fehleinschätzungen oder schlicht ungenügende Arbeit zu Tage fördern würden. Damit wären vielleicht auch Schmerzen und unangenehme Wahrheiten verbunden. Es ist viel leichter, die Schlamperei unter den Teppich zu kehren und immer weiter zu akzeptieren. „Besser“ wird durch einen solchen Umgang mit Fehlern und in dieser Art von Fehlerkulturen nicht viel.
Fehlerkultur?
Fehlerkultur ist sicher nicht das beste Wort. Aus meiner Sicht wird der ‘Kultur’-Begriff seit Jahren überstrapaziert. ‘Umgang mit Fehlern’ würde das gleiche ausdrücken, verkauft sich aber eben nicht so gut.
Rita Hattemer-Apostel
Wie Rita Hattemer-Apostel formuliert geht es auch mir. Der Kulturbegriff wird seit Jahren überstrapaziert. Bereits vor 10 Jahren habe ich die Vorteile eines positiven Umgangs mit Fehlern formuliert, es damals selbst Fehlerkultur genannt. Der Idee der Trennung von Fehler und Irrtum habe ich einen Artikel spendiert. Eine andere Perspektive auf Fehler kann man in meinem kurzen Artikel “Was ist schon falsch?” aus dem Jahr 2017 nachlesen.
Kultur als “Schatten einer Organisation” lässt sich kaum direkt beeinflussen, sondern verändert sich langsam durch die Effekte, die andere Maßnahmen erzeugen. Statt sich mit einer aktiven Veränderung der Fehlerkultur zu beschäftigen, sollte die Konzentration auf direkt beeinflussbaren Bereichen liegen. Die Kultur fungiert dann eher wie ein Fieberthermometer – sie zeigt Handlungsbedarfe an, ist aber selten selbst der Ansatzpunkt für Veränderungen. Ähnlich wie bei Fieber sollten Maßnahmen bei der Organisation selbst, bei den Strukturen und Prozessen ansetzen.
Anstatt von einer “Fehlerkultur” zu sprechen ist es besser, den Umgang mit Fehlern und vor allem den Umgang mit Lernen in der Organisation in den Fokus zu rücken. Diese Aspekte lassen sich aktiv gestalten und kontinuierlich verbessern.
Aus Fehlern lernen?
Hinzu kommt, dass wir gar nicht so gut aus Fehlern lernen, wie wir das immer annehmen.
Warum wir schwer aus eigenen Fehlern lernen
- Bedrohung des Egos: Fehler bedrohen das Selbstwertgefühl, was dazu führt, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit von den Fehlern ablenken.
- Selbstschutzmechanismen: Menschen neigen dazu, negative Gefühle zu vermeiden und suchen Entschuldigungen für Fehler.
- Bestätigungsfehler: Menschen bevorzugen Informationen, die ihren Überzeugungen entsprechen, und ignorieren widersprüchliche Informationen.
Warum wir schlecht aus Fehlern anderer lernen
- Fehlende emotionale Beteiligung: Ohne persönliche Betroffenheit fehlt oft die Motivation, aus den Fehlern anderer zu lernen.
- Mangelnde Reflexion: Fehler (anderer) werden häufig nicht ausreichend analysiert, um daraus Schlüsse ziehen zu können.
- Keine Übertragbarkeit: Fehler werden in individuellen Kontexten gemacht und daraus Gelerntes lässt sich oft nicht übertragen
Umgang mit Irrtum
Was in Unsicherheit nicht komplett vermeidbar ist, das sind Irrtümer. Hier gilt es zu lernen, welche Maßnahmen Irrtümer unwahrscheinlicher werden lassen. Es gilt, von Könnern zu lernen. Es geht darum, vorbereitet zu sein und dafür kontinuierlich zu lernen.
Ich finde inzwischen den Begriff Ungewissheit den passenderen als Unsicherheit.
Philipp Forster
Unsicherheit oder Ungewissheit
Im Kontext von Komplexität ist häufig die Rede von Unsicherheit. Auch ich formuliere das immer wieder und bin Philipp sehr dankbar für diesen Einwurf. Denn: Sicherheit ist ein tief in uns verankertes Grundbedürfnis. Und ob wir uns sicher fühlen oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, auf die wir in Organisationen – wie auf die Kultur – nur bedingt Einfluss haben. Das Gefühl von Sicherheit und Unsicherheit ist bei Menschen sehr individuell und hängt von persönlichen Erfahrungen und Prägungen ab. In komplexen Umgebungen besteht durch unvorhersehbare Wechselwirkungen Ungewissheit, die bei Menschen unterschiedlich stark Unsicherheit entstehen lässt. Individueller Unsicherheit können Menschen selbst begegnen. Das ist eine Frage bewusster und unbewusster Persönlichkeitsentwicklung. Auf Ungewissheit können wir uns als Menschen und in Organisationen vorbereiten.
Was wir auch 2025 brauchen
Wir brauchen auch in 2025 keine Fehlerkultur. Wir brauchen einen konstruktiven Umgang mit Fehlern. Dafür ist wichtig, alles für die Vermeidung von Fehlern zu tun – sowohl auf individueller, als auch auf organisatorischer Ebene. Wenn dennoch Fehler passieren gehört dazu, sie umgehend und kritisch zu betrachten, Hintergründe zu analysieren und Maßnahmen abzuleiten, die einen erneuten Fehler dieser Art vermeiden oder zumindest höchst unwahrscheinlich machen.
When you repeat a mistake, it is not a mistake anymore: It is a decision.
Paolo Coelho
Gleichzeitig müssen wir akzeptieren, dass wir in komplexen Umgebungen mit hoher Ungewissheit immer wieder Irrtum unterliegen und Menschen darauf unterschiedlich mit Unsicherheit reagieren. Wir wissen, dass zu vermeidende Fehler dennoch passieren können und dass wir irrtümlich falsche Entscheidungen in Ungewissheit treffen.
In Organisationen können wir damit umgehen, indem wir gut vorbereitet und ausgebildet sind um schnell reagieren zu können. Außerdem hilft ein hoher Fokus auf kontinuierliches Lernen – nicht nur aus Fehlern, sondern aus und mit Allem, was uns zur Verfügung steht.
(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)