Mut zur Veränderung?

„Gerade mittelständigen Unternehmen fehlt oft der Mut, New Work als Realität anzuerkennen.” „Leadership bedeutet, den Menschen Mut zu machen.” „Es braucht Mut, den Veränderungen positiv gegenüber zu stehen.” „Mut zur Veränderung!” „Mut, auch mal einen Fehler zu machen!”

Wirklich?

Reden wir mal über Mut. Und ob wir Mut in unseren Organisationen haben wollen. Ob Mut überhaupt notwendig ist, für irgendwas.

Mut ist: “die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden”.

Gefahr. Risiko. Angst. Ganz ehrlich: Das klingt nicht nach einem Umfeld, in dem ich gerne arbeiten will. Vielleicht bin ich da etwas konservativ, aber ich suche mir meinen Nervenkitzel lieber privat, gehe klettern, oder tauchen, oder springe aus einem Flugzeug oder irgendwas. Das braucht auch Mut. Vom Mut im Beruf unterscheidet sich das dann doch in ein paar ganz zentralen Punkten.

  1. Ich hab es mir von A bis Z selbst ausgesucht und bezahle oft sogar Geld dafür.
  2. Ich riskiere da in der Regel nur mich und meine Gesundheit.
  3. Oft ist das Risiko real gar nicht so groß wie es sich anfühlt. In Wirklichkeit haben z.B. Fußballspieler ein höheres Verletzungsrisiko als Kletterer. Das limbische System versteht diese Dinge allerdings nicht und schüttet Adrenalin aus. Die Angst dann zu überwinden kann ziemlich viel Spaß machen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Im Beruf sieht die ganze Geschichte dann etwas anders aus. Meistens wird Mut nämlich von anderen erwartet, nicht von sich selbst. Das Risiko ist nicht nur nicht kleiner als gefühlt, sondern größer, teilweise sogar unkalkulierbar. Und es hängen Geld und Gesundheit von anderen Menschen dran, teilweise von ziemlich vielen Menschen, denen oft nicht klar ist, was von ihnen so alles auf dem Spiel steht.

Angesichts dieser Gefahren die eigene Angst vor dem Scheitern zu überwinden – Augen zu und durch – fühlt sich vielleicht heroisch an. Mir kommt es eher unverantwortlich und unprofessionell vor. Ich werde mein Auto nicht zu einem Mechaniker geben, der “mutig” meine Bremsen repariert. Und meine medizinischen Eingriffe möchte ich nicht bei dem Chirurg machen, der vorher mit Zweihundert-Puls noch ein motivierendes Selbstgespräch vor dem Badezimmerspiegel hält, sondern bei dem, der entspannt und routiniert sein Ding durchzieht. Business as usual; schon der fünfte heute.

Wir schulden es den Menschen, die uns für unser Tun Geld bezahlen, dass wir verdammt noch mal wissen, was wir da tun. Und wenn nicht, dann, dass wir uns einen kompetenten Mentor suchen, der uns begleitet, bis wir es können. Wenn unser Umfeld nicht versteht, was wir da tun – oder es versteht und gerade deswegen anzweifelt! – ist das nicht ein Anlass “mehr Mut” zu fordern, sondern mal tief in uns zu gehen. Zu überlegen, was eigentlich gerade schief läuft, und ob wir wirklich überzeugt sind, dass wir der Aufgabe gewachsen sind. Und wenn unser Job mit Veränderung zu tun hat, und wir dabei auf Schwierigkeiten stoßen, sollten wir nicht unseren Mitmenschen unterstellen, “Angst vor der Veränderung” zu haben, sondern uns fragen, ob wir wirklich wissen, dass unsere Vorgehensweise eine richtige ist. Oder ob es nicht doch auch eher wie blindes Stochern im Nebel wirkt, wie leider die meisten Veränderungsinitiativen, die einem so begegnen.

Schauen wir also mal darauf, was eigentlich erstrebenswert wäre im beruflichen Umfeld: Angstfreiheit. Nicht ohne Grund ist eins der vier Modern Agile-Prinzipien “Sicherheit zur Grundvoraussetzung machen”. Google hat wohl mal herausgefunden, dass sich ihre Hochleistungsteams (woran auch immer sie das genau festmachen) vor allem durch psychologische Sicherheit auszeichnen. Man findet es beim Thema Vergütung. Daniel Pink sagt dazu “pay people enough so that they’re not thinking about money – they’re thinking about work”. Oder in Methoden wie Scrum, deren Kernidee es immer noch ist, für den Kunden das Risiko zu reduzieren, in dem alle zwei bis vier Wochen produktiv nutzbare (!) Ergebnisse bereitgestellt werden. 

Das Grundprinzip ist hier überall dasselbe: Schaffe ein Umfeld, in dem die beteiligten Menschen sich um ihr Geld, ihre Lebenszeit, ihre Gesundheit und ihre Reputation keine Sorgen machen müssen.

Das gilt für die Kolleginnen und Kollegen, die sich darauf verlassen können müssen, respektvoll und als intelligente Profis behandelt, mit ihren Wünschen und Ideen ernst genommen und angemessen bezahlt zu werden. Das gilt für den Kunden, der von der ersten bis zur letzten Minute der Zusammenarbeit das Gefühl haben soll, mit seinem Geld und seinen Anliegen bei uns gut aufgehoben zu sein. Und wenn wir an der Veränderung von Organisationen mitarbeiten, dann wissen doch bitte alle Beteiligten, dass sie vor dieser Veränderung keine Angst haben müssen, denn sie werden eingeladen, als Mitgestalter einbezogen und ihre Interessen werden selbstverständlich berücksichtigt, soweit das möglich ist. In solch einem Umfeld hat Veränderung nichts mit Mut zu tun. Veränderung ist dann so leicht, wie an der Wand ein neues Bild aufzuhängen.

(Das Bild ist von Stephen Bowler unter CC BY 2.0 Lizenz – vielen Dank!)

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Kai Pukall
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