Für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft in einer komplexen Welt hat zentrales kontrollieren, verwalten und managen von Aufgaben und Arbeit keine hohe Relevanz in der Führung. Nicht, dass nicht auch Aufgaben in diesem Bereich weiter bestehen – sie können und sollten aber keine große Rolle mehr in zentraler top-down gesteuerter Führung spielen. Klassisches Management wird immer weniger relevant und behindert bereits heute in der Lösung komplexer Probleme häufig mehr, als es für die Wertschöpfung bringt.
Führung wird weiter stattfinden. Dabei ist die Herausforderung, sich in einem Umfeld zwischen innovativer Kreativität und disziplinierter Abarbeitung zu bewegen. Führung findet nicht mehr in festgelegten Hierarchien statt, sondern entsteht und verändert sich auf allen Ebenen abhängig von konkreten Herausforderungen und davon, welche Person ganz unabhängig von ihrem Titel gerade am Besten geeignet ist, Führung zu übernehmen.
Wenn also Führung nicht mehr zwingend an in Hierarchien organisierten Positionen gekoppelt ist und managen nicht mehr die wichtige Aufgabe ist, wie kann oder muss dann Führung aussehen?
Führung neu denken
In einer Studie mit unter anderem Gore hat die „MIT Sloan School of Management“ drei unterschiedliche Führungsstile erkannt und herausgearbeitet, die in den Unternehmen auf allen Ebenen zu finden waren und ein hohes Maß an Selbstorganisation von Teams ermöglichten. Grundvoraussetzung für den Erfolg dieser Form der Führung war die Überzeugung der Menschen, dass dies der richtige Weg ist. Dieser Weg von einem klassischen Führungsverständnis hin zu dieser neuen Form hat die untersuchten Firmen Zeit und Investitionen in das Lernen aller Menschen im Unternehmen gekostet.
- Unternehmerischer Führung
- Befähigende Führung
- Architektonische Führung
Unternehmerische Führung
Unternehmerische Führung kennt man vielleicht von erfolgreichen Familienunternehmen oder StartUps. Sie ist hochgradig intuitiv und erspürt Wachstumschancen und nutzt diese vollständig aus. Sie bezieht alle Kollegen in die Entwicklung der unternehmerischen Vision ein.
Menschen, die unternehmerische Führung übernehmen, glauben an sich selbst, können mit Misserfolgen umgehen und experimentieren. Sie verstehen die Ziele ihrer Organisation, ihrer Geschäftseinheit und ihres Teams auf einer sehr tiefen Ebene und fühlen sich diesen Zielen verpflichtet. Sie kennen die Kunden, können deren Bedürfnisse antizipieren und mit den Unternehmenszielen in Einklang bringen. Und das vielleicht Wichtigste: sie sind der Lage, andere für ihre Ideen zu begeistern.
Befähigende Führung
Neben den Unternehmern in einer Organisation, die das Produkt und Vision im Blick haben, vorantreiben und andere Menschen dafür begeistern können, gibt es auch Menschen mit mehr Erfahrung in der konkreten Arbeit. Sie befähigen andere dazu, ihre Arbeit außergewöhnlich gut zu machen. Persönliche Entwicklung der Menschen passfähig zu den Bedürfnissen in der Organisation ist eine große Aufgabe. Es geht um Unterstützung, dass sich Einzelpersonen und damit auch Teams weiter entwickeln, organisatorische Hürden überwinden und sich mit anderen Menschen vernetzen können.
Menschen, die einen befähigenden Führungsstil haben, arbeiten eher als Mentoren oder Coaches. Sie fragen eher, als eine konkrete Richtung vorzugeben, auch wenn sie durchaus eine Richtung im Kopf haben können. Wesentlich in der Arbeit ist es, Teams dabei zu helfen, sich in der Produktentwicklung zurecht zu finden und eine lösungsorientierte Grundhaltung ebenso wie ein vernetztes Denken und Handeln zu entwickeln.
Architektonische Führung
Menschen, die sich auf die Architektur konzentrieren, richten ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das große Ganze, auf Herausforderungen des Unternehmens, die Änderungen in Organisationsstruktur und -kultur erfordern. Sie reagieren auf große Risiken und Chancen im Markt aber auch innerhalb der Organisation. Sie sind das Bindeglied zwischen den Menschen, die Aufgaben als Unternehmer wahrnehmen und denen, die eher als Befähiger unterwegs sind und einer Unternehmensführung, die vielleicht aus Sicht des Unternehmens in großer Not Top-Down-Entscheidungen treffen müssen. Sie stellen sicher, dass lokale Optimierung reduziert wird im Interesse des Gesamtunternehmens und sorgen für Verständnis auf allen Seiten bis hin zu möglichen externen Stakeholdern.
Was noch dazu gehört
Viele Organisationen sprechen von Gewaltenteilung und orientieren sich an Scrum – wie beispielsweise auch die agilen Rollen und Kompetenzen des DACH 30 Netzwerks. Da gibt es den Verantwortlichen für die Wertschöpfung – angelehnt an den Scrum Product Owner – der mit einem eher unternehmerischen Führungsstil gut ausgestattet wäre. Es gibt den Team Facilitator, angelehnt an den Scrum Master, für den ein befähigender Führungsstil eine gute Grundlage wäre. Außerdem gibt es die agile Führungskraft, die als Rahmengeber eher der Architektur des Unternehmens verpflichtet sein sollte und das Umsetzungsteam, in dem obige Rollen auch verteilt vorkommen können.
Die klare Zuordnung dieser Stile folgen allerdings keinem Umkehrschluss. Ein Mensch, der Führungsverantwortung für die Wertschöpfung – beispielsweise als Product Owner – übernimmt, sollte einen unternehmerischen Führungsstil haben. Nicht alle Menschen im Unternehmen, die mit einem solchen Führungsverhalten auftreten, müssen deswegen Product Owner sein.
Das System der Gegenwart und Zukunft benötigt neben den unterschiedlichen Führungsstilen noch drei Prinzipien.
Verteilte Führung
Menschen in Organisationen zur Lösung komplexer Probleme haben ein hohes Maß an Autonomie und arbeiten in einem starken Netzwerk – hier entsteht und verschwindet der Bedarf nach unterschiedlicher Führung und damit muss sich die Führungsverantwortung verschieben können. Führung nicht ausschließlich an definierte Rollen oder hierarchische Organisationsstrukturen gekoppelt. Menschen mit den oben genannten Fähigkeiten sind verteilt im Unternehmen und übernehmen die Aufgaben, wenn es die Umstände erfordern.
Eine solche Organisation braucht nicht ausschließlich Mitarbeitende mit Unternehmertum, sondern ausreichend gut ausgebildete und führungserfahrene Menschen, die entweder als Unternehmer, oder als Befähiger oder als Architekt unterwegs sein können.
Es wird kaum Menschen geben, die alle drei Führungsstile beherrschen – selbiges wird aktuell von vielen Führungskräften in der Hierarchie erwartet. Mit der Aufteilung und stärkeren Fokussierung auf unterschiedliche Stile besteht die Möglichkeit, dass Organisationen schneller viel mehr Menschen hervorbringt, die einen Teil der Verantwortung abdecken können.
Die Macht der Vielen
Um in komplexen Umgebungen erfolgreich zu sein, müssen Organisationen emergent sein. Emergenz beschreibt einen Prozess, bei dem die Ordnung auf Systemebene durch einzelne Interaktionen auf niedrigeren Aggregationsebenen entsteht.
Die hohe Autonomie von Mitarbeitenden lässt kreative Prozesse entstehen und sorgt für eine hohe Effektivität und Effizienz in Umgebungen, in denen Ergebnisse nicht vorher berechenbar ist. Damit das funktioniert, ist Denken und Handeln in Netzwerken sowie ein hohes Maß an Kommunikation und Transparenz nötig. Hierdurch agieren viele Menschen, zum Beispiel mit den Kunden, gleichzeitig und alle reagieren schnell auf das, was sie sehen, erkennen, erleben. Hierdurch wird eine gesamte Organisation agil, wendig, und ist schnell in der Lage, eine neue Richtung einzuschlagen.
Nach Verstehen kommt Machen
Mittlerweile ist vielen Menschen, auch Managern, klar, dass die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft ein anderes System in der Organisation erfordert. Die Meisten werden auch damit übereinstimmen, dass eine Dezentralisierung, eine Verteilung der Macht und der Entscheidungskompetenzen unerlässlich ist, weil sie eine schnelle Reaktionsfähigkeit ermöglichen.
Das zu Wissen ist das Eine. Es auch wirklich umzusetzen, das fällt den meisten Organisationen noch schwer.
Manager klammern sich an ihre Illusion von Kontrolle und haben Angst, dass „ihre Organisation“ ins Chaos gerät. Die Kunst ist, regulierende und Kontrolle versprechende Prozesse nicht nur umzubauen, sondern so stark wie möglich abzubauen und durch gelebte Prinzipien zu ersetzen, die auf Zutrauen und Selbstkontrolle bzw. sozialer Kontrolle basieren.
Verantwortung muss konsequent verteilt und Entscheidungen müssen dezentralisiert und nah am Markt getroffen werden. Ja, der Übergang von einer Organisationsstruktur in die Andere wird mit einer chaotischen Übergangszeit verbunden sein. Ziel ist es, diese Phase durch gute Vorbereitung und erfahrene Begleitung möglichst kurz zu halten.
Mehr zu den Erkenntnissen aus der Studie in diesem HBR Artikel.
(Das verwendete Bild ist von hedera.baltica – Vielen Dank!)
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