Im Buch „Der Minutenmanager“ von Kenneth Blanchard gibt es einen Absatz, in dem ein neuer Projektleiter den Minutenmanager und seine Denkweise schnell kennenlernt. Der Projektleiter ruft den Minutenmanager an und der kurze Dialog geht ungefähr so: „Sehr geehrter Herr Minutenmanager, ich habe hier ein Problem…“. Da unterbricht der Minutenmanager den Projektleiter und sagt: „Das ist gut, denn zum Lösen von Problemen habe ich Sie eingestellt!“ und legt auf.
Herausforderungen bewältigen und Probleme lösen sind wichtige Aufgaben, Antreiber und auch Blockierer von und für Wissens- und Kreativarbeitende. Man könnte sagen: es ist ein wesentlicher Kern der Arbeit.
Menschen treffen implizite Annahmen. Das lässt sie in Methoden und Muster zur Bewältigung der Probleme reinrutschen, ohne dass sie es merken. Grund ist zum einen, dass das Gehirn versucht energieeffizient zu arbeiten, indem es auf gewohnte Muster zurück zu greift. Wir nutzen gerne Erprobtes, mit dem wir schon gute Erfahrungen gemacht haben. Wie heißt es da so schön: Für einen Hammer ist alles ein Nagel. Zum anderen können wir nicht wissen, was wir nicht wissen – wir können nicht auf etwas zurückgreifen, das noch nicht da ist. Warum ist das in Komplexität ein Problem?
Probleme in Komplexität
Kurz vorneweg der Versuch, den Begriff „Problem“ etwas genauer zu beschreiben: Ein Problem ist letztendlich nicht mehr (und auch nicht weniger) als ein Hindernis zwischen einer unbefriedigenden Ausgangssituation und einer befriedigenden Zielsituation. Diese Hindernisse können gelöst, verschoben, überwunden, umgangen oder auch akzeptiert werden.
Für die Lösung von Problemen in durch Überraschungen geprägter Komplexität, also für das lösen komplexer Probleme, ist das Verwenden von eingetretenen Pfaden, das Nutzen vorhandener Muster, wenig förderlich. Dinge lassen sich manchmal grundsätzlich auf grober Ebene vergleichen, aber nicht verlässlich wiederholen. Damit lassen sich auch bewährte Muster nicht verlässlich anwenden zur Lösung der Probleme. Bewusst eine andere Perspektive einzunehmen, um ein holistischeres Bild Der Gesamtsituation zu bekommen und andere Denkansätze zur Lösung zu verfolgen, fällt uns in der Regel schwer. Dabei wusste schon Einstein damals:
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
Albert Einstein (Physiker 1879 – 1955)
Fünf Aspekte die helfen können
Was kann man tun, um aus dieser Falle heraus zu kommen? Aus meiner Sicht gibt es fünf wesentliche Aspekte, die dabei helfen, Probleme in Komplexität zu lösen. Mit diesen „Maßnahmen“ habe ich gute Erfahrungen gemacht.
Komplexe Probleme lösen ist Teamaufgabe
Jeder Mensch ist geprägt durch eigene Erfahrungen, Erlebnisse, Wissen und Können und kann Ideen beisteuern. Im Austausch zwischen Menschen entstehen ganz neue Gedanken, Ideen, Lösungen. Es schadet dabei natürlich nicht, wenn sich Menschen vorab eigene Gedanken machen. Die besten Ergebnisse habe ich dann erlebt, wenn Menschen ihre eigenen Gedanken, Erfahrungen und Wissen mitgebracht haben und damit im Dialog in einem diversen Team konstruktiv miteinander Probleme angegangen wurden.
Wer ist entscheidend
Bei dem Dialog in einem diversen Team ist es weniger wichtig, wie der Austausch stattfindet, sondern wer beteiligt ist. Es ist hierbei meiner Erfahrung nach auch nicht unbedingt wichtig, dass die Menschen besonders erfahren oder wissend sind – kreative Lösungsideen können überall und immer entstehen. Wer dabei ist und die gute Mischung der Menschen macht es aus. Eine Mischung in einem Lösungsteam könnte zum Beispiel so aussehen:
- Menschen, die ein vergleichbares Problem bereits gelöst und ihre Intuition in einem ähnlichen Umfeld entwickelt haben.
- Menschen, die das Problem selbst haben, das es zu lösen gilt.
- Menschen, die den Problemraum bereits gut kennen.
- Menschen, die ein mögliches Zielbild kennen könnten.
- Menschen, die von der Lösung profitieren.
- Menschen, die gar nichts mit dem Problem zu tun haben.
Das Ziel: Viele unterschiedliche individuellen Sichtweisen zusammen bringen um daraus kreative Ideen zur Problemlösung zu generieren. Hilfreich ist dabei Unterstützung durch eine gute Moderation.
Beobachten, verkleinern, fokussieren
Beim Lösen komplexer Probleme hilft es, nicht nur das Hindernis selbst zu betrachten, sondern die Gesamtsituation im Blick zu behalten:
- Wie genau stellt sich die Ausgangssituation dar?
- Was genau ist das Problem, das als Hindernis zwischen der Ausgangssituation und der Zielsituation steht?
- Wie soll die Zielsituation genau aussehen?
Die Betrachtung der drei Dimensionen „Ausgangssituation, Problem, Zielsituation“ gibt einen umfassenden Blick. Die gewünschte Zielsituation kann auch durch eine Veränderung der Ausgangssituation oder die Verschiebung der Zielsituation gelingen, wenn sich das Hindernis beispielsweise nicht verändern, lösen, umgehen oder verschieben lässt.
Bei der Betrachtung der Gesamtsituation kann es hilfreich sein, kleine Teilaspekte genau zu betrachten und Schritt für Schritt nur diese zu lösen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten in Komplexität sorgen allerdings dafür, dass es hier keine Garantie auf Erfolg gibt – der Blick auf die Gesamtsituation muss immer wieder erfolgen. Eine Fokussierung auf kleine Teilaspekte kann aber hilfreich und manchmal notwendig sein, um Probleme überhaupt in Angriff nehmen und Fortschritt überprüfen zu können und manchmal führt die Lösung eines kleinen Teilaspekts schon zum Erreichen des befriedigenden Zielzustands.
Probleme lösen braucht ein „sich lösen“
Diese Situation, in der Menschen total durchdrehen und erst durch eine schallende Ohrfeige wieder klar denken können, kennen wir sinnbildlich wahrscheinlich alle (wenn auch mit der physisch schallenden Ohrfeige tatsächlich hoffentlich nur aus Filmen). Je stärker Menschen persönlich von den Folgen der Problemen betroffen sind, je größer der individuelle Schmerz mit der unbefriedigenden Ausgangssituation ist oder je wichtiger die befriedigende Zielsituation wird, um so gefangener und eingeschränkter sind Menschen im Prozess der Problemlösung. Klares Denken und Perspektivwechsel wird schwer bis unmöglich.
Sich zu sehr zu fokussieren und in Probleme zu verrennen, führt selten zum Erfolg. Auch ganze Teams stehen in dieser Gefahr. Ein regelmäßiger Schritt zurück, ein sich lösen von der Problembetrachtung, habe ich als sehr hilfreich erlebt. Dabei ist es hilfreich, sich immer wieder Impulse von völlig Außenstehenden zu holen. Die Problembeschreibung auf einer solchen Ebene und völlig unvoreingenommene Reaktionen darauf machen den Kopf frei und erlauben neue Sichten.
Probleme lösen aus anderer Ebene
Eine alte Redewendung sagt, man sähe den Wald vor lauter Bäumen nicht. Etwas übertragen kann man sagen: Steckt man zu sehr in der Gesamtsituation und ist belastet durch viele Details, fällt das Denken in Lösungsräumen um so schwerer. Den Schritt raus aus der Gesamtsituation machen und einen gelösten Blick auf das zu beseitigende Hindernis einnehmen können, dazu braucht es eine andere Ebene, die man mit guten Fragen erreichen kann.
Besonders geeignet sind hier systemischer Fragen, die dabei helfen, die Gesamtsituation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Sie helfen, sich gelöst vom Problem zu fokussieren und sowohl das Gesamtbild, als auch Teilaspekte individuell und im Team neu zu betrachten. Das Entscheidende dieser Fragen: Sie haben nicht deN Zweck, den/die Befragte/n auszufragen. Sie helfen, eine neue Perspektive einzunehmen. Die für mich hilfreichsten und gerne verwendeten Fragearten systemischer Fragen sind:
- Zirkuläre Fragen
- Die Betrachtung der Situation aus dem Blickwinkel eines anderen Menschen oder einer anderen Gruppe:
- Was würde XYZ dazu sagen?
- Skalierungsfragen
- Die Einschätzung einer Situation auf einer Skala:
- Auf einer Skala von 1 bis 10…
- Hypothetische Fragen
- Die Betrachtung der Situation unter (gerne auch extrem formulierten) Annahmen:
- Was wäre wenn?
- Die Wunderfrage
- Die Betrachtung der Situation mithilfe eines Wunschszenarios
- Was wäre wenn?
- Paradoxe Fragen
- Die Betrachtung der Situation in einer überraschenden, überzeichneten oder widersprüchlichen Art und Weise – zum Beispiel:
- Was müsste passieren, um alles zum Scheitern zu bringen?
- Lösungsorientierte Fragen
- Die Betrachtung des positiven Zielzustands, der Situation, nachdem das Problem gelöst wurde.
- Was wäre anders, wenn das Problem nicht bestünde?
In einem Podcast von Kurswechsel geht Carolin Habekost im Interview mit Kollege Benedikt Drossart auf diese sechs Fragearten etwas genauer ein und bietet eine Reihe von konkreten Fragen an.
Gibt es weitere Ideen, Facetten, Vorgehensweisen, die helfen oder gar unerlässlich sind für die Lösung komplexer Probleme? Ich freue mich auf deine Meinung und Ergänzungen.
(Das Bild ist von cottonbro – vielen Dank!)