Der Weg zu einer agilen Organisation bringe nahezu gezwungenermaßen den Abbau von Silos mit sich. Das ist eine Aussage, die mir häufig begegnet, getoppt nur von der Annahme, agile Organisationen seien frei von Hierarchien und es gäbe keine Führung(skräfte) mehr. Ich behaupte umgekehrt: Viele Silos sind ein Zeichen von ausgeprägter Agilität in Organisationen.
Warum Menschen Silos für die Bildung der eigenen Identität brauchen, hat Melanie Schließmann vor einigen Wochen im Artikel “Unknown Identity: Warum wir Silos brauchen” bereits beschrieben. Das Entstehen und Bilden von Silos ist ein für Menschen natürlicher und notwendiger Prozess.
In einer spannenden Twitter-Diskussion zum Thema “Auflösung von Silos” sind wir relativ schnell zu dem Punkt gekommen, dass wir den Begriff Silo genauer beschreiben müssen. In Folge der Beschreibung waren wir uns schnell einig, dass die Auflösung von Silos eher das Gegenteil von dem ist, was wir für Organisationen heute, die sich der Lösung komplexer Herausforderungen stellen, verfolgen sollten (und verfolgen).
Dieser Blogbeitrag beinhaltet meine Sicht auf die wesentlichen Inhalte und meine persönlichen Erkenntnisse aus dieser Diskussion.
Was ist ein Silo?
Für mich ist ein Silo eine Gruppe von Menschen, die sich zu anderen Gruppen von Menschen abgrenzt, innerhalb der eigenen Gruppe (implizite und explizite) Regeln für das Zusammensein entwickelt und sich durch eine eigene Kultur von anderen unterscheidet.
Spinnt man den Gedanken weiter bedeutet das: Wenn alle Silos in einer Organisation abgeschafft sind – es also nur noch das eine Organisations-Silo gibt, in dem alle die gleichen impliziten und expliziten Regeln für das Zusammensein haben – dann ist alles gleich organisiert. Aus genau dieser fehlenden Akzeptanz von Unterschiedlichkeit – das betrifft ebenso Rahmenbedingungen wie Bedürfnisse – kommen wir und Agiliät will hierauf eine Antwort sein. Diese Form der Gleichmacherei kennen wir aus der Vergangenheit und erleben sie in weiten Teilen noch heute in Organisationen. Seit vielen Jahrzehnten optimieren sich Organisationen, indem sie ein flächendeckendes Alignment durch gleiche Regeln und Prozesse (gestützt durch generelle Tools) anstreben. Genau das versuchen wir durch eine dezentral und am Markt organisierte Organisationsstruktur zu ändern.
Funktionsschubladisierung
Wenn von der Abschaffung von Silos geredet wird, geht es eigentlich um die Abschaffung von (großen) Fachabteilungen. Diese Form der – das schöne Wort habe ich in der Twitter-Diskussion aufgeschnappt – Funktionsschubladisierung ist genau so hinderlich, wie umgekehrt interdisziplinäre Silos, die dezentral organisiert Wert generieren förderlich sind. Wir brauchen keine zentralen Entwicklungs-, Design-, UX-, Controlling- oder HR-Fachabteilungen. Und gleichzeitig wollen wir gar keine Silos abschaffen, sondern aufbauen. Allerdings müssen die Silos um kleinstmögliche Gruppen entstehen, die alle Menschen innerhalb des Silos zusammen bringen, die benötigt werden, um Wert zu liefern.
Ein gutes Beispiel im agilen Arbeiten sind Scrum Teams. Ein solches Team besteht aus 7 +/-2 Mitarbeitenden, die gemeinsam an eigenen passfähigen Regeln für die Zusammenarbeit arbeiten und so über die Zeit eine eigene Team-Kultur entwickeln. Sie entwickeln eigene Regeln für ihre Termine, ihre Wege für Transparenz zu sorgen und ihren Fortschritt zu messen. Was in einem dieser Silos gut funktioniert, kann in einem anderen Silo scheitern.
Was wir eigentlich brauchen
Gleichmacherei bringt uns nicht weiter. Ein wesentlicher Bestandteil von agilen Organisationen ist eine möglichst dezentrale Entscheidungsstruktur. Die Entscheidungsgewalt muss möglichst umfassend direkt dort liegen, wo die Wertschöpfung passiert. Das beinhaltet auch die Entscheidung über die eigenen Regeln und Prozesse. So entsteht in jeder dezentral organisierten Gruppe eine eigene Kultur in Abgrenzung zu anderen Gruppen und deren Kulturen.
Das Silodenken – das Denken in lokalen Rationalitäten, wie wir das nennen – ist der Mechanismus, der sich in jeder Organisation mit Arbeitsteilung automatisch ausbildet. Daran wird die Digitalisierung überhaupt nichts ändern.
Stefan Kühl
Ergänzend dazu: Arbeitsteilung bedeutet schlichtweg, Arbeit aufzuteilen und sagt nichts darüber aus, ob die Arbeit in Funktionsschubladen oder an der Wertschöpfung ausgerichteten interdisziplinären Schubladen aufgeteilt wird.
Schnelle und gute Entscheidungen
Längst wissen wir, dass zwar schnelle Entscheidungen durch formelle (diktatorische) Macht möglich sind. Schnelle und gute Entscheidungen werden nicht nur auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten von Fachexperten getroffen, sondern entstehen durch Vielfalt und einen weitere Blickwinkel. Gute Entscheidungen brauchen interdisziplinäre und nah an den zu lösenden Problemen aufgestellte Silos, in denen sich eine gemeinsames Verständnis für gute Zusammenarbeit ausgebildet hat.
Viele kleine flexible Silos
Um auf Überraschungen reagieren zu können, müssen sich diese möglichst vielen und kleinen Silos wiederum schnell bilden und wieder auflösen und durch neue Silos ersetzt werden können. Außerdem müssen diese kleinen Wertgenerierungs-Silos gut in einem Netzwerk zusammenarbeiten können. Es geht also um die Fähigkeit von Menschen, schnell die Silos zu formen, die aktuell benötigt werden und sie auch wieder aufzulösen, wenn sie nicht mehr nötig sind, um neue Silos zu formen. Außerdem müssen die Menschen bei aller Abgrenzung zu anderen Silos eine kooperative Zusammenarbeit sicher zwischen den Silos sicherstellen.
Verzicht auf Fachschubladisierung
Wenn von Silos abschaffen gesprochen wird, sind meist funktionale Fachbereichen gemeint. Es geht also um den Verzicht von in eigenen Silos organisierten fachlich orientierten Expertengruppen. Das Problem hierbei ist nicht das Silo, sondern die Fachschubladisierung. Es geht also darum, nicht direkt wertschöpfende Funktionsbereiche als Support-Funktion zu verstehen und möglichst nah an die wertschöpfenden Teams zu bringen – sie bestenfalls in die an der Wertschöpfung orientierten Silos zu integrieren, um in diesen interdisziplinären Silos eine gute Zusammenarbeit und eine gemeinsame Kultur zu entwickeln.
Zusammenarbeit gestalten
Die Herausforderung sind nicht die Silos, sondern die Zusammenarbeit zwischen Menschen in den Silos und zwischen den Silos. Diese Zusammenarbeit muss gut gestaltet werden, auch weil eine gute Zusammenarbeit in einem Netzwerk zwischen den Silos das entstehen, verändern und beenden von Silos einfach ermöglicht.
Vielen Dank an die Mitdenker und Twitterer in dieser Diskussion – vor allem an Holger Gelhausen für die Frage und den Impuls und auch an Conny Dethloff, Gerrit Beine, Harald Wild und weitere für all die Denkanstöße. Solcher Austausch bei Twitter macht diese Social Media Plattform für mich zu einem wertvollen Kanal für das eigene Lernen.
(Das Bild ist von Matt Batchelor – vielen Dank!)