Warum gute Führungskräfte manchmal Clowns sind

Fasching! Die Zeit des hemmungslosen Verkleidens. Die Zeit, in der spielerisch Rollen übernommen werden, in der es möglich ist, fröhlich gelaunt zu sein, wer man sein möchte. Wer sich einmal als Pirat oder Einhorn durch die Stadt bewegt hat, weiß: Kaum ist das Kostüm übergezogen, verändert sich etwas. Wir bewegen uns anders, sprechen anders, nehmen die Welt anders wahr, verhalten uns anders. Und alle um uns herum spielen mit.

Führung und Authentizität: Fasching, Führung und die große Illusion der Echtheit

Jetzt übertragen wir dieses Szenario auf die Arbeitswelt. In Unternehmen sind wir permanent in Rollen unterwegs – manche davon sind konkret benannt und beschrieben, andere wiederum nicht. Da gibt es Rollen wie die Führungskraft, technischer Experte, Datenschutzbeauftragter oder die Product Ownerin, dann aber auch so etwas wie der Teamplayer, die Strategin oder der Krisenmanager. So nachvollziehbar und selbstverständlich die Existenz dieser Rollen sind, so unsauber und unpassend werden ständig formulierte Forderungen aus Management-Büchern und LinkedIn Posts: “Sei authentisch!” Sei du selbst, sei echt, sei kongruent. Als wäre Authentizität die magische Geheimzutat für gute Führung.

Schaut man genauer hin, entstehen ein paar Frage: Was bedeutet das eigentlich? Immer genau das sagen, was man denkt? Emotionen ungefiltert zeigen? Zu jeder Zeit exakt die gleiche Person sein? Ich sage: Wer so agiert, hält in einem komplexen Unternehmen und in Teamarbeit nicht lange durch. Authentizität ist schön und gut – aber vielleicht nicht in der simplen Form, in der sie oft gepredigt wird.

Auch wenn ich selbst gar kein großer Freund der aufgesetzten Fröhlichkeit von Karneval bin, können wir uns dennoch vom Fasching inspirieren lassen. Vielleicht ist Führung mehr eine gut choreografierte und gelebte Rolle, als die ungefilterte Offenbarung des eigenen Innenlebens. Vielleicht ist es gerade eine Maske, die uns in manchen Situationen freier macht und vielleicht kann uns ein bisschen Faschingsgeist helfen, den Druck der “absoluten Authentizität” zu entschärfen.

Führung als funktionale Maskerade

Unternehmen bestehen nicht aus Individuen mit festen Persönlichkeiten, sondern aus Kommunikation. Und was macht Kommunikation? Sie stabilisiert das System. Wichtiger Bestandteil dabei ist Entscheidungskommunikation und Führung bedeutet erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten. Was bedeutet das? Authentizität ist nicht einfach das “wahre Ich”, sondern – hart formuliert – eine Inszenierung, die Erwartungen erfüllt und erfolgreich Einfluss nimmt. Es geht in Unternehmen auch nicht um das “wahre Ich”. Eine Führungskraft soll Vertrauensbildung ermöglichen, Orientierung bieten, Entscheidungen legitimieren. Das Unternehmen braucht diese Performance, um handlungsfähig zu bleiben – wie authentisch mit dem “wahren Ich” eine Führungskraft dann auch immer unterwegs ist.

Ein ganz einfaches Beispiel: Stell dir vor, dein Unternehmen steckt in einer tiefen Krise. Deine persönliche Wahrheit ist vielleicht: “Ich habe keinen Schimmer, wie wir hier rauskommen.” Und jetzt stell dir vor was passiert, wenn du das genau so kommunizierst: Dein Team wird nervös, die Unsicherheit wächst, das System destabilisiert sich. Also wählst du eine andere Maske: Die Rolle des entschlossenen Navigators, der das Schiff auch durch stürmische See steuert. Ist das unehrlich? Aus meiner Sicht nicht. Es ist funktionale Authentizität.

Hier hilft die Faschings-Metapher. Beim Karneval erwartet niemand, dass der Pirat wirklich aus der Karibik stammt und der Vampir muss auch nicht echtes Blut trinken. Der Pirat wird als solcher akzeptiert, weil er sich entsprechend verhält. Genauso akzeptieren Teams eine Führungskraft nicht deshalb, weil sie “echt” ist, sondern weil sie in einer Rolle überzeugt und damit – im Beispiel der Krise – zum Beispiel Ungewissheit auflöst.

Was tun?

  1. Lerne, deine Maske bewusst zu wählen. Welche Rolle braucht dein Unternehmen gerade? Die inspirierende Visionärin, die souveräne Entscheiderin, den empathischen Zuhörer? Sei flexibel – das macht dich nicht unecht, sondern wirksam, wenn die Wechsel der Rollen nachvollziehbar und nicht erratisch wahrgenommen werden.
  2. Trenne persönliche von funktionaler Wahrheit. Nicht jede Emotion oder Überzeugung gehört in die Kommunikation. Statt “Ich habe Angst” könnte es auch heißen: “Die Lage ist schwierig, aber wir haben/entwickeln einen Plan.”
  3. (Er)kenne die Erwartungen deines Publikums. Deine Mitarbeitenden, deine Vorständin, deine Kunden – alle haben unterschiedliche Erwartungen an dich. Welche Rolle hilft dir, diese zu erfüllen, ohne dir selbst untreu zu werden?

zwischen Maske und Spiegel

Führung ist nicht nur ein systemisches Phänomen, sondern auch eine zutiefst psychologische Herausforderung. Carl Gustav Jung sprach von der “Persona” als Maske, die wir nach außen tragen, um sozialen Anforderungen gerecht zu werden. Im Fasching feiern wir diese Persona bewusst, indem wir sie übertreiben oder ironisieren. Und was passiert in Unternehmen? Dort wird immer wieder verlangt, die Maske abzulegen, um “authentisch” zu sein. Doch ist das überhaupt möglich?

Moderne Selbstkonzept-Forschung macht Wichtiges deutlich. (Zum Selbstkonzept gehört das Wissen über eigene persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten, Vorlieben, Gefühle und Verhalten.) Menschen mit hoher Rollenflexibilität – also der Fähigkeit, situativ verschiedene Masken zu tragen – sind oft psychisch gesünder und erfolgreicher. Der Mythos der absoluten Authentizität ignoriert diese Anpassungsfähigkeit und setzt Menschen in Führungs- und anderen Rollen unter Druck.

Ein Meeting mit dem Vorstand erfordert eine andere Präsenz, als ein lockeres Brainstorming mit dem Team. Das ist kein Widerspruch, sondern gesunde Kontextsensibilität. Wer dagegen immer “derselbe Mensch” in jeder Situation sein will läuft Gefahr, in manchen Situationen überfordert oder unangemessen zu wirken.

Handlungsempfehlungen

  1. Trainiere deine Rollenflexibilität. Beobachte, wie erfolgreiche Führungskräfte je nach Kontext unterschiedliche Stile nutzen. Wann bist du gefordert, ruhig und souverän zu sein? Wann darfst du humorvoll und nahbar wirken? Wann musst du voran gehen und wann kannst du eher unterstützend kommunizieren?
  2. Hinterfrage den Druck (voll)ständiger Authentizitäts. Wer sagt eigentlich, dass du immer zu 100% du selbst sein musst? Erlaube dir, verschiedene Facetten deiner Persönlichkeit strategisch einzusetzen. Oder zeigst du die Liebe, die du zu einem Partner oder Kind hast, so auch im Unternehmen?
  3. Nutze Masken als Schutz. Manche Entscheidungen erfordern Härte oder Distanz – vor allem auch, wenn es in Führungsverantwortung um die Entscheidung von Unentscheidbarem geht. Das bedeutet nicht, dass du privat oder im nächsten Personalgespräch ein harter Mensch bist – sondern dass du in deiner Rolle funktional handelst.

Karneval der Eitelkeit?

Das Narrativ der authentischen Führung klingt erstmal schön: Nähe, Vertrauen, Inspiration. Doch es birgt auch Gefahren. Die Idee einer konstanten “Authentizität” steht im Widerspruch zur Notwendigkeit der Anpassungsfähigkeit in komplexen Systemen.

  1. Es ist unrealistisch. Niemand kann in jeder Situation genau dasselbe Selbst sein. Menschen sind komplex, Unternehmen sind dynamisch – das erfordert Anpassung.
  2. Es kann destabilisieren. Zu viel “Echtheit” kann Unsicherheit schaffen. Eine Führungskraft, die ständig ihre Zweifel offenbart, signalisiert unter Umständen Orientierungslosigkeit.
  3. Es setzt unter Druck. Der Zwang, immer “authentisch” zu sein, kann zur mentalen Belastung werden. Wer glaubt, dass er sich nie anpassen darf, läuft Gefahr, sich selbst zu blockieren.

Vielleicht sollten wir Authentizität weniger als radikale Offenheit verstehen, sondern als geschickte Choreografie unterschiedlicher Rollen. Eine, die Spaß macht, verbindet und für Klarheit sorgt – statt zu überfordern.

Ein bisschen Fasching tut uns gut

Authentizität ist kein Dogma, sondern ein Werkzeug, das man einsetzen kann. Zusammenarbeit in Unternehmen und Führung sind keine Entblößungsshow, sondern ein klug inszeniertes Wechselspiel aus Vertrauen, Klarheit und Wirkung. Wer seine Rolle bewusst wählt, seine Botschaften zielgerichtet vermittelt und dabei seine Werte nicht verrät, ist nicht unecht – sondern wirksam.

Dazu der Aufruf: Es ist an der Zeit, Authentizität weniger als starren Selbstanspruch zu sehen. Nutzt eure Masken mit Bedacht, nicht zur Täuschung, sondern zur Gestaltung! Traut euch, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, ohne euch selbst zu verlieren. Lernt vom Fasching: Die richtige Inszenierung kann Leichtigkeit bringen, Orientierung schaffen und Menschen verbinden. Manchmal ist es nicht das ungeschminkte Gesicht, das Vertrauen stiftet, sondern das strahlende Lächeln auf einer “Maske”.

(Das Bild ist mit ChatGPT generiert.)

About the author

Daniel Dubbel

Agility Master | COO, HOUSE OF MOBILE @ DB Systel | Deutsche Bahn
Agile Transformation & Digital Strategy Expert | P&L Leader | Driving Growth through Innovation & Organizational Change | C-Level Advisor

By Daniel Dubbel

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