Warum toxisch nicht immer toxisch ist (Teil 1)

Führungskräfte stehen zunehmend in der Kritik: Zu autoritär, zu machtbewusst, zu reaktionär, zu wenig empathisch – kurz gesagt: toxisch. Vor allem in Krisenzeiten scheint dieser Vorwurf noch schneller im Raum zu stehen. Doch ist das wirklich so? Oder ist die Sensibilität gegenüber Führung schlicht gewachsen, während gleichzeitig die Akzeptanz unbequemer Entscheidungen schwindet?

kein Beliebtheitswettbewerb

Es ist ganz verständlich, dass Menschen einen zugewandten und wohlwollenden Umgang mögen. Mitarbeitende wünschen sich verständnisvolle, wertschätzende Führung. Und es ist ebenso verständlich, dass sie gleichzeitig Stabilität, Klarheit und strategische Weitsicht erwarten. Das Problem? Beides lässt sich nicht immer unter einen Hut bringen. Denn gute Führung bedeutet nicht, allen zu gefallen. Sie bedeutet, das Richtige im Sinne der Organisation zu tun, und das auch dann, wenn es auf Widerstand stößt.

Es lohnt sich, hier einen tieferen Blick auf Organisationen zu werfen. Wer hat es nicht schon gehört? Servant Leadership, also dienende Führung, sei das, was Unternehmen jetzt brauchen. Führung ist aber keine Serviceleistung für individuelle Bedürfnisse, sondern eine Funktion im System die (mit) dafür sorgt, dass das Unternehmen langfristig überlebt. Führungskräfte, die nur darauf achten beliebt zu sein, verlieren ihre Legitimation spätestens, wenn sie dadurch die eigentliche Aufgabe vernachlässigen. Und diese Aufgabe ist, das Unternehmen zukunftsfähig zu halten.

Wenn es Toxisch ist

Die eine oder der andere hat schon von der dunklen Triade der Führung gehört. Sie bezieht sich auf drei stark ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale bei Führungskräften: Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Diese Eigenschaften können zu toxischem und destruktivem Führungsverhalten führen

Narzisstische Führungskräfte sind selbstverliebt und auf Bewunderung angewiesen, machiavellistische Führungskräfte verfolgen eigennützige Ziele und manipulieren andere, während psychopathische Führungskräfte emotional kalt und rücksichtslos agieren.

Führungskräfte mit diesen Merkmalen können oft kurzfristig erfolgreich sein, wenn sie ihre Ziele fokussiert erreichen. Langfristig führt ihr Verhalten aber zu negativen Konsequenzen für Mitarbeitende und Unternehmen. Verringertes Arbeitsengagement bis hin zu innerlicher Kündigung oder gar tatsächlich erhöhte Fluktuation sind verständlich und die Folge. Also ja, (manche) Führungskräfte vernichten Unternehmen. Es gibt toxische Führung: Manipulation, Angstkultur, persönliche Machtausübung.

Wann es nicht toxisch ist

Doch der Begriff wird mittlerweile inflationär verwendet und ich vermute, dass die jedes Jahr breit getretene Gallup-Studie ihren Teil dazu beiträgt. Denn hier wird jedes Jahr aufs Neue schwarz gemalt, die Bindung der Mitarbeitenden nehme kontinuierlich ab. Klar ist – erlebe und leide ich unter einer tatsächlich toxischen Führungskraft wäre auch meine Empfehlung zum individuellen Wohlergehen, das Weite zu suchen. Aber wie viele der Menschen, die in einer Umfrage sagen, dass sie innerlich gekündigt haben, haben das wirklich? In (anonymen) Umfragen lässt sich sehr leicht und schnell meckern. Zur Bindung an ein Unternehmen gehört aber mehr und Unzufriedenheiten gehören zum Arbeitsalltag dazu. Wie viele kommunizierte innerliche Kündigungen spiegeln sich im Verhalten wieder oder werden gar zu echten Kündigungen? Oder was bedeutet für jede Antwortgeberin und jeden Antwortgeber “Dienst nach Vorschrift”`?

Die forsa-Studie zur Wechselbereitschaft aus dem Jahr 2025, die über diese Seite runtergeladen werden kann, zeichnet ein anderes Bild. 85% sind aktuell zufrieden mit ihrem Job. Nur 7% planen in 2025 konkret einen Jobwechsel. Dabei ist das Gehalt der größte Treiber und die Möglichkeit, remote arbeiten zu können, verliert an Bedeutung. Allerdings bleibt wichtig im Blick zu behalten, dass unter den Wechselwilligen wichtigstes Kriterium für die Wahl der neuen Arbeitgeberin langfristige Sicherheit und gutes Führungsverhalten sind.

Effektive Führung bleibt wichtig. So wie nachvollziehbare und konsistente Kommunikation und Entscheidungen. Allerdings wird meinem Eindruck nach mittlerweile jede konsequente Kommunikation unangenehmer Dinge oder jede klare Entscheidung schnell als “toxisch” gebrandmarkt. Da reicht es oft schon, dass Entscheidungen und konsequentes Handeln danach nicht zu individuellen Erwartungen passen. Ein Beispiel: Ein Unternehmen muss in einer Krise restrukturieren. Führungskräfte setzen klare Prioritäten, strukturieren um, verteilen Personal und Ressourcen neu und kommunizieren entschlossen. Die Betroffenen fühlen sich übergangen, klagen über mangelnde Partizipation und kritisieren die “kalte, distanzierte” Führung. Ist das toxisch? Oder ist es einfach das, was vielleicht in der jeweiligen Situation nötig ist?

Was das unterstreicht ist der Attributionsfehler. Er beschreibt die Tendenz, das Verhalten anderer eher auf deren Persönlichkeit, als auf situative Faktoren zurückzuführen. Das führt dazu, dass Führungskräfte oft persönlich für negative Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, obwohl die Ursachen häufig in systemischen Zwängen liegen.

Das Missverständnis der Basisdemokratie

Ein weiteres Phänomen in vielen Unternehmen ist die Erwartung, dass Führung immer basisdemokratisch sein sollte. Natürlich sind moderne Organisationen partizipativer geworden. Das bedeutet aber nicht, dass jede Entscheidung im Kollektiv getroffen werden kann und sollte. Führung ist ein gemeinschaftlicher Prozess aus Führen und Folgen, aber kein basisdemokratischer. Hinzu kommt, dass partizipative Prozesse insbesondere bei unangenehmen Entscheidungen an ihre Grenzen stoßen. So bestehen Teams schnell darauf, bei Einstellungen neuer Mitarbeitender in ihr Team beteiligt werden zu wollen. Wenn es darum geht, dass das Team verkleinert werden und eine Person das Team verlassen muss, wird nicht selten nach einer Entscheidung durch eine Führungskraft gesucht.

Der Systemtheoretiker Luhmann würde sagen: Organisationen funktionieren über Entscheidungsprämissen. Organisationen funktionieren als soziale Systeme, die durch Kommunikation und Entscheidungsprozesse strukturiert sind. Führungskräfte agieren innerhalb dieser Systeme und müssen Entscheidungen treffen, die das Überleben und die Funktionsfähigkeit des Systems sichern. Dabei passen sich diese Systeme immer wieder an, um in einer sich ständig verändernden Umwelt zu überleben.

Führungskräfte haben also die Aufgabe, immer wieder Entscheidungen zu treffen, die nicht jedem gefallen, die aber für das Gesamtsystem notwendig sind. Diese Entscheidungen haben unter anderem die Funktion, das System zu entlasten. Wer das nicht akzeptiert, verwechselt Mitgestaltung mit Selbstbestimmung.

Was Führungskräfte tun können

Effektive Führung basiert nicht nur auf Popularität, sondern auf Kompetenz, Verantwortungsübernahme und Verlässlichkeit. Führungskräfte, die klare Ziele setzen, transparent kommunizieren und grundsätzlich gut gestaltet Mitarbeitende einbeziehen, fördern die Zufriedenheit und Motivation im Team. Was sie tun können:

  • Klare Legitimation statt Zustimmung suchen: Effektive Führung holt sich ihre Legitimation nicht aus Popularität, sondern aus Kompetenz, Verantwortungsübernahme und Verlässlichkeit. Führungskräfte sollten sich fragen: “Diene ich dem System oder nur den Erwartungen einzelner?”
  • Kommunikation als Brücke nutzen: Die Art und Weise, wie unpopuläre Entscheidungen getroffen und kommuniziert werden, macht einen großen Unterschied. Wer konsequent bleibt, Transparenz schafft, erklärt und zuhört, kann auch Widerstände abfedern, ohne sich verbiegen zu müssen.
  • Partizipation mit Verantwortung verknüpfen: Mitarbeitende einzubeziehen ist sinnvoll, allerdings nicht um jeden Preis. Wer mitreden will, muss Lösungen entwickeln wollen, wer Mitentscheiden will, muss auch Verantwortung übernehmen wollen und können. Führung bedeutet, Rahmen zu setzen, in denen Mitgestaltung möglich ist, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.
  • Die eigene Rolle reflektieren: Führungskräfte sollten sich regelmäßig fragen: Wo stehe ich zwischen Einfühlungsvermögen und Konsequenz? Und wo kippt eines davon ins Ungesunde?

Fazit

Führung darf nicht zu einem Beliebtheitswettbewerb verkommen und darf gleichzeitig nicht aus absoluter Distanz und für andere nicht nachvollziehbar handeln. Dass die dunkle Triade – also toxische Führungskräfte – völlig fehl am Platz ist, erklärt sich von selbst. Die Herausforderung liegt darin, Führung so zu gestalten, dass sie konsequent, aber nicht autoritär ist. Konsequent führen, ohne toxisch zu sein. Sie muss Orientierung geben, ohne Alles und Alle zu dominieren. Letztendlich muss effektive Führung Unternehmen verändern, für langfristigen Erfolg stärken und darf sich nicht von kurzfristigen Emotionen treiben zu lassen. Denn am Ende gilt: (Effektive) Führung ist nicht immer bequem, aber auch in modernen Unternehmen generell notwendig.

Ausblick

Um die Komplexität moderner Führung besser zu verstehen ist es wichtig, die systemischen Zwänge und die gesellschaftlichen Veränderungen zu betrachten, die Führungskräfte heute beeinflussen. Im nächsten Artikel werde ich diese Themen vertiefen und untersuchen, wie Führungskräfte in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt effektiv und verantwortungsvoll handeln können.

(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)

About the author

Daniel Dubbel
Daniel Dubbel

Agility Master @ DB Systel GmbH | IT Executive | Ich verbinde Führungserfahrung mit einem tiefen Verständnis für Organisation und Zusammenarbeit für wirksame, tragfähige Veränderung in Führung, Struktur und Kultur.

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