Vertrauen ist in aller Munde. Es wird als das Fundament guter Zusammenarbeit, innovativer Teams und erfolgreicher Führung beschworen. Du sollst Vertrauen schenken, Vertrauen verdienen, Vertrauen aufbauen – als wäre es eine Art Währung, die nur richtig investiert werden muss. Klar ist dann auch woran es liegt, wenn irgendetwas in einer Organisation nicht funktioniert. Dann fehlt es sicherlich an Vertrauen. Oder es fehlt an psychologischer Sicherheit, der Wunderwaffe für erfolgreiche Teams.
Das Problem ist nur: Vertrauen ist keine simple Maßnahme, die sich per Führungskräfteworkshop installieren lässt. Und auch psychologische Sicherheit lässt sich nicht mal eben über eine Transformationen implementieren und auch entsprechende Werteplakate an der Wand zeigen bestenfalls, was man sich wünscht, nicht was man hat.
In diesem Artikel werfe ich einen kritischen Blick auf die gängigen Vertrauens-Ideale und hinterfragen auch das immer populärer werdende Konzept der “Psychologischen Sicherheit”. Dabei mache ich auch einen Vorschlag, der sich in Organisationen konkreter gestalten lässt.
Vertrauen ist gut, und was ist besser?
Vertrauen ist nichts, das man greifen oder erzwingen kann. Man kann es weder sehen, noch anfassen. Man kann es spüren, wenn es da ist. Es ist ein komplexes psychologisches Phänomen, das oft durch wiederholte positive Erfahrungen entsteht. Vertrauen ist die stille Grundlage jeder menschlichen Beziehung – ob im Privatleben, im Beruf oder in der Gesellschaft. Es ist keine Währung, die man sich durch gute Taten verdient, und nichts, das man erfolgreich einfordern kann. Vertrauen bedeutet, sich auf etwas oder jemanden zu verlassen, ohne absolute Sicherheit zu haben. Es ist die Brücke zwischen Ungewissheit und Zuversicht, gebaut aus Erfahrungen, Erwartungen und gewürzt mit einem gewissen Maß an eigenem Risiko.
Im Kontext von Zusammenarbeit in Organisationen gibt es dabei ein Problem: Gegenseitiges Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Es wächst schrittweise durch geteilte Erlebnisse, durch Verlässlichkeit in kleinen Momenten und durch die Erfahrung, dass Worte und Taten im Einklang stehen. Es bildet sich, wenn Menschen sich gehört und ernst genommen fühlen, wenn Versprechen gehalten und Fehler nicht sofort als Verrat gewertet werden. Vertrauen ist also nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch des Erlebens – es baut sich auf und festigt sich, wenn wir immer wieder Grund finden, an Verlässlichkeit zu glauben und nicht enttäuscht werden.
Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird.
Bertolt Brecht
Es wird leider noch schwieriger. Vertrauen bleibt immer ein fragiles Konstrukt. Es kann über Jahre wachsen und in Sekunden zerbrechen. Ein einziges negatives Erlebnis kann all die positiven Erfahrungen überlagern, weil Misstrauen uns evolutionär besser schützt als (blindes) Vertrauen. Das macht es auf der einen Seite wertvoll, auf der anderen Seite sehr schwer abzusichern. Vertrauen kann nicht erfolgreich eingefordert oder verordnet werden. Es ist ein freiwilliges Geschenk, das immer wieder neu gegeben werden muss. Vertrauen ist also wertvoll und fragil. Es ist ein sehr persönlicher Pfeiler für Zusammenarbeit, der absolut wünschenswert ist. Gleichzeitig stelle ich mir immer wieder die Frage: Können und sollten wir bei der Fragilität Vertrauen tatsächlich als einen derart zentralen Pfeiler für Zusammenarbeit in Organisationen manifestieren? Und entsteht dabei nicht auch eine viel zu hohe Erwartung und damit auch ein zu hoher Druck auf jeden Einzelnen anderen zu vertrauen und selbst vertrauenswürdig zu handeln?
Psychologische Perspektive auf Vertrauen
Aus psychologischer Sicht ist Vertrauen eine komplexe emotionale und kognitive Einstellung, die stark von individuellen Erfahrungen und frühen Prägungen beeinflusst wird. Vertrauensfähigkeit entwickelt sich nicht plötzlich, sondern baut sich mit entscheidenden Weichenstellungen in der Kindheit über die Lebensspanne hinweg auf. Bereits in den ersten Lebensmonaten entsteht das sogenannte Urvertrauen, also die grundlegende Überzeugung, dass die Welt ein sicherer Ort ist und Bezugspersonen zuverlässig und unterstützend handeln. Dieses frühe Vertrauen bildet die Basis für alle späteren sozialen Beziehungen. Wurde es gestärkt, fällt es Menschen meist leichter, auch im Erwachsenenalter Vertrauen zu entwickeln. Fehlte es oder wurde es immer wieder erschüttert, kann sich tief verwurzeltes Misstrauen etablieren.
Vertrauen ist eine zutiefst individuelle Eigenschaft. Manche Menschen schenken es leicht und erleben meist positive Reaktionen, während andere nur zögerlich vertrauen – oft aus Angst vor Enttäuschung oder Verletzung. Diese Unterschiede sind nicht nur auf frühe Erfahrungen zurückzuführen, sondern auch auf persönliche Dispositionen wie Temperament und Stressempfinden. Vertrauen ist daher eine individuelle Mischung aus Veranlagung, Erfahrung und situativer Einschätzung. Psychologisch betrachtet setzt sich Vertrauen aus mehreren Komponenten zusammen:
- Kognitive Komponente: Die bewusste Überzeugung, dass der andere kompetent, ehrlich und zuverlässig ist.
- Emotionale Komponente: Ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit in der Beziehung zum anderen, besonders sensibel gegenüber früheren Bindungserfahrungen.
- Verhaltenskomponente: Die Bereitschaft, Risiken einzugehen und sich auf andere zu verlassen – trotz Unsicherheit über deren künftiges Verhalten.
Diese Komponenten beeinflussen sich gegenseitig. Menschen mit oft enttäuschtem Vertrauen wird es schwerer fallen, sich emotional sicher zu fühlen oder Verlässlichkeit anderer positiv anzunehmen. Gleichzeitig kann Vertrauen durch neue, positive Erfahrungen wieder wachsen – ein Prozess, der Zeit, Geduld und eine bewusste Entscheidung erfordert.
Neurobiologische Erkenntnisse zu Vertrauen
Die Neuroleadership-Forschung zeigt, dass Vertrauen tief in den biologischen Mechanismen unseres Gehirns verankert ist. Besonders wichtig ist dabei das Hormon Oxytocin, das als “Bindungshormon” oder eben auch “Vertrauensmolekül” bezeichnet wird. Es wird in sozialen Interaktionen ausgeschüttet, insbesondere bei positiven Erfahrungen wie Kooperation oder unterstützender Kommunikation. Studien zeigen, dass erhöhte Oxytocin-Level das Vertrauen in andere Menschen steigern können – selbst gegenüber Fremden.
Vertrauen ist eng mit unserem Belohnungssystem verknüpft. Vertrauensvolle Interaktionen werden als angenehm und lohnend empfunden. Menschen, die Vertrauen geschenkt bekommen, reagieren mit einer erhöhten Aktivität in den gleichen Hirnarealen, die auch bei anderen positiven Erfahrungen wie sozialer Anerkennung aktiviert werden. (Das gilt übrigens auch für das Essen von Schokolade.)
Gleichzeitig spielt die Amygdala, das “Angstzentrum” des Gehirns, eine zentrale Rolle. Sie verarbeitet Bedrohungen und Unsicherheiten. Wenn eine Situation beispielsweise durch frühere Vertrauensbrüche als riskant wahrgenommen wird, wird das Angstsystem aktiviert. Das führt zur Ausschüttung von Cortisol, das Misstrauen verstärkt und defensives Verhalten begünstigt. Effekte von Vertrauen lassen sich also neurobiologisch nachweisen.
Systemtheoretische Sicht auf Vertrauen
Für Niklas Luhmann ist Vertrauen kein moralisches oder emotionales Konzept, sondern eine funktionale Notwendigkeit in komplexen sozialen Systemen. Es reduziert Komplexität, indem es Ungewissheiten minimiert und Entscheidungsprozesse erleichtert. Ohne Vertrauen müssten Menschen jede Interaktion mit anderen ständig neu bewerten und absichern. Das wäre ein Zustand, der individuelle und organisationale Handlungsfähigkeit massiv einschränken oder bis zur Handlungsunfähigkeit führen würde.
Allerdings ist Vertrauen kein verlässlicher Mechanismus. Er lässt sich weder steuern, noch erzwingen. Vertrauen entsteht situativ und bleibt immer riskant. Vertrauen, das entgegen gebracht wurde, kann enttäuscht werden und es gibt keine Garantie für dauerhaften Bestand und ist immer eine riskante Vorleistung, ein Vorschuss auf eine ungewisse Zukunft. Wird Vertrauen enttäuscht, führt das zu tiefgreifender Verunsicherung, die künftige Vertrauensbereitschaft senken kann.
Besonders wichtig ist, dass Organisationen Vertrauen nicht verordnen können. Sie können im besten Fall nur Rahmenbedingungen schaffen, die Vertrauensbildung erleichtern. Problematisch wird es, wenn Vertrauen als selbstverständlich vorausgesetzt oder gar eingefordert wird. Erzwungenes oder ungerechtfertigt eingefordertes Vertrauen kann Misstrauen statt Sicherheit erzeugen. Daher sollten Organisationen weder Mitarbeitenden noch Führungsverantwortlichen gegenüber einfordern, Vertrauen entgegenzubringen und nicht blind auf Vertrauen setzen, sondern Mechanismen etablieren, die auch in unsicheren oder konfliktbehafteten Situationen Stabilität gewährleisten.
Wie Vertrauen gefördert werden kann, und was es schwierig macht
Es gibt Möglichkeiten, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Vertrauensbildung begünstigen.
- Transparente Kommunikation: Klare und offene Kommunikation reduziert Unsicherheiten.
- Verlässlichkeit: Konsistente Handlungen und Entscheidungen stärken die Vertrauensbasis.
- Positive soziale Interaktionen: Anerkennung und Wertschätzung fördern Vertrauen.
- Fehlertoleranz: Ein Umfeld, in dem Fehler nicht sofort sanktioniert werden, erhöht psychologische Sicherheit.
- Faire Strukturen: Verbindliche Regeln und faire Entscheidungsprozesse sorgen für Vorhersagbarkeit.
Es gibt aber auch Herausforderungen der Vertrauensbildung insbesondere in Organisationen. Das liegt vor allem daran, dass es auf verschiedenen Ebenen (individuell, teambezogen, strukturell) unterschiedlich entsteht und wirkt. Aus psychologischer Sicht ist es schwierig, Vertrauen zu etablieren, wenn Mitarbeitende bereits negative Erfahrungen gemacht haben. Die systemtheoretische Perspektive zeigt, dass Vertrauen zwar nützlich ist, aber nicht stabil bleibt und durch Enttäuschungen schnell zerstört werden kann. Neurobiologisch betrachtet bedeutet Vertrauensverlust erhöhten Stress und eine verstärkte Aktivierung des Angstzentrums, was Misstrauen langfristig verstärken kann.
Daher benötigen Organisationen neben der bewussten Gestaltung von Rahmenbedingungen, die Vertrauensbildung positiv begünstigen, auch Mechanismen, die Stabilität bieten, wenn Vertrauen fehlt oder erschüttert wurde. Hilft hier die oft zitierte psychologische Sicherheit?
Psychologische Sicherheit – Heilsversprechen oder Selbsttäuschung?
Psychologische Sicherheit klingt erst mal fantastisch, oder? Ein Arbeitsumfeld, in dem niemand Angst haben muss, sich zu äußern. In dem offen Fehler zugeben werden, ohne dass jemand mit erhobener Augenbraue das nächste Performance-Gespräch plant. In dem Ideen sprudeln und rausgehauen werden, ohne dass sofort jemand genervt mit den Augen rollt. Das ist – etwas polemisch vereinfacht – der Kern des Konzepts von Amy Edmondson: Teams sollen sich sicher fühlen, weil sie keine negativen Konsequenzen fürchten müssen und das beflügelt zu mutigen Entscheidungen.
Psychologische Sicherheit beschreibt die Überzeugung, dass die Arbeitsumgebung sicher für zwischenmenschlichen Risiken ist.
Amy Edmondson
Und ja klar, das hat viele Vorteile. Psychologisch sichere Teams sind sehr wahrscheinlich oft kreativer, innovativer und produktiver. Wenn Menschen keine Angst haben sich zu äußern, wird offener diskutiert, werden Fehler schneller korrigiert und kommen bessere Entscheidungen zustande. Klingt also nach einer narrensicheren und einfachen Erfolgsformel für moderne Organisationen. Oder?
Wie psychologische Sicherheit gefördert werden kann
So, wie sich Rahmenbedingungen zu einer einfacheren Vertrauensbildung schaffen lassen, so kann auch das Gefühl psychologischer Sicherheit gefördert werden.
- Lernen aus Fehlern betonen: Fehler sollten vor allem als Lernchancen betrachtet werden. Personen in Führungsrollen können das vorleben, indem sie eigene Fehler transparent machen und aktiv einen konstruktiven Umgang mit Fehlern etablieren.
- Offene Kommunikation fördern: Teams brauchen einen Raum, in dem Fragen, Kritik und Ideen angstfrei geäußert werden können. Klare Kommunikationsregeln und Moderationsformate wie Kollegiale Fallberatung, Retrospektiven oder Soundingboards helfen, diesen Raum aktiv zu gestalten.
- Wertschätzung zeigen und Diversität anerkennen: Unterschiedliche Perspektiven und Meinungen sollten nicht nur zugelassen, sondern aktiv gewürdigt werden. Wer sich ernst genommen fühlt, bringt sich engagierter ein.
- Verlässlichkeit und Transparenz schaffen: Psychologische Sicherheit wächst, wenn Entscheidungen nachvollziehbar sind und Menschen – vor allem die in Führungsrollen – konsistent handeln. Regelmäßige Feedback- und Entscheidungsprozesse helfen, Vertrauen in die Struktur zu stärken.
- Machtgefälle abbauen und Partizipation ermöglichen: Wenn Mitarbeitende erleben, dass ihre Meinung zählt und sie Einfluss nehmen können, steigt ihr Sicherheitsgefühl. Beteiligungsformate wie gemeinsames Problemlösen oder dezentrale Entscheidungsbefugnisse können dazu beitragen.
Das Problem: Sicherheit existiert nicht
Hier kommt nun der erste Denkfehler: (psychologische) Sicherheit ist kein objektiver Zustand, sondern ein Gefühl, und Gefühle sind bekanntermaßen nicht besonders stabil. Das gilt für Vertrauen und auch für ein individuelles Sicherheitsgefühl. Was dir wie ein sicherer Raum vorkommt, kann für deine Kollegin das Gegenteil sein. Vielleicht, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht hat. Vielleicht, weil sie von Natur aus vorsichtiger ist. Vielleicht, weil sie nicht glaubt, dass die Person oder Organisation es wirklich ernst meint. Und eine “falsche” Äußerung einer Person kann bei anderen das Gefühl von Sicherheit direkt verschwinden lassen.
Psychologische Sicherheit setzt voraus, dass Menschen sich sicher fühlen. Darauf haben andere Menschen aber keinen verlässlichen (direkten) Einfluss. Natürlich lässt sich dafür sorgen, dass Fehler weniger sanktioniert und Feedback konstruktiv gegeben wird. Diese Tipps liest und hört man an jeder Ecke. Aber selbst dann gibt es keine Garantie, dass sich alle gleichermaßen sicher fühlen. Denn Sicherheit ist individuell. Und nicht nur das: Zu viel davon kann sogar schädlich sein.
Die Kehrseite: Komfortzone statt Verantwortung
Der zweite Denkfehler klingt noch etwas radikaler: Wenn sich Menschen zu sicher fühlen, kann das auch zu Passivität und Risikovermeidung führen. Wenn niemand Konsequenzen fürchten muss, kann das auch heißen, dass sich niemand mehr wirklich anstrengt. Ja, Innovation braucht Offenheit. Aber sie braucht auch ein gewisses Maß an Druck. Nicht den zerstörerischen, sondern den, der uns antreibt, besser zu werden.
Eine weitere Gefahr: Psychologische Sicherheit kann sich leicht in eine subtile Erwartung verwandeln. “Wir sind doch ein offenes Team – warum sprichst du deine Bedenken nicht aus?” Und plötzlich wird aus der angestrebten Sicherheit eine soziale Norm, die viel Druck aufbaut und damit eher belastet, als fördert. Denn wer sich trotz aller Bemühungen nicht sicher fühlt, fragt sich vielleicht: “Bin ich hier falsch? Bin ich zu empfindlich?” Und genau das erzeugt das Gegenteil von psychologischer Sicherheit.
Kontrolle ist eine Illusion
Und dann wären da noch zwei weitere Gedanken. Psychologische Sicherheit ist eine schöne Idee, aber sie lässt sich nicht einfach herstellen. Soziale Systeme sind komplex und voller Ungewissheiten. Es lässt sich nicht verlässlich vorhersagen, wie Menschen Vertrauen entwickeln oder ob sie sich wirklich sicher fühlen. Unternehmen, die psychologische Sicherheit als strategische Maßnahme ausrufen übersehen oft, dass sie auf etwas setzen, das sich nicht erzwingen und nicht aktiv und direkt herstellen lässt.
Noch paradoxer wird es, wenn psychologische Sicherheit zur Pflicht wird. Dann sind Menschen nicht mehr ehrlich, weil sie sich sicher fühlen, sondern weil sie wissen, dass genau das von ihnen erwartet wird. Und sobald ein solches Konzept zur Vorschrift wird, verliert es seine Glaubwürdigkeit.
Was stattdessen?
Psychologische Sicherheit ist nett. Ist sie gegeben, kann sie ein Booster für Teams sein. Aber sie ist kein Fundament, das sich sicher erzeugen und auf das man sich verlassen kann. Gleiches gilt für Vertrauen. Vertrauen ist wichtig für Zusammenarbeit, lässt sich aber auch nicht aktiv über Organisationsgestaltung erzeugen. Stattdessen braucht ea etwas anderes.
Aus meiner Sicht ist Zutrauen das, was stärker in den Fokus gerückt werden sollte bei Zusammenarbeit und Überlegungen rund um Organisationsgestaltung. Denn während Sicherheit darauf abzielt, Risiken zu minimieren, geht es bei Zutrauen nach vorne gerichtet um etwas anderes. Es geht darum, an die Fähigkeiten von Menschen zu glauben und ihnen gute Arbeit zuzutrauen, selbst wenn die Welt ungewiss ist und auch dann, wenn sie sich unsicher fühlen.
Zutrauen heißt: “Ich glaube, dass du mit deiner Unsicherheit und der generellen Ungewissheit umgehen kannst. Ich glaube, dass du Verantwortung übernehmen kannst. Ich glaube, dass du fähig bist, Risiken einzugehen, ohne dass wir Gefahr laufen, dabei unterzugehen.” Denn am Ende ist es nicht das Gefühl von Sicherheit, das Menschen mutig macht, sondern das Wissen, dass sie auch mit ihrer Unsicherheit in Ungewissheit klarkommen.
Der unterschätzte Katalysator für wirksame Führung
Angesichts der Schwierigkeiten, Vertrauen und psychologische Sicherheit direkt zu erzeugen oder gar zu steuern und deren Verfügbarkeit sicherzustellen lohnt es sich, mit “Zutrauen” ein anderes Konzept zu verfolgen. Während Vertrauen fragil und psychologische Sicherheit schwer allgemeingültig herzustellen ist, bietet Zutrauen eine dynamische und gestaltbare Perspektive für Führung und Organisationsentwicklung.
Was ist Zutrauen?
Zutrauen bezeichnet die bewusste Entscheidung, einer Person oder einem Team eine Aufgabe oder Verantwortung zu übertragen in der Überzeugung, dass sie (gut) erledigt wird. Das geschieht nicht aufgrund von Sicherheit oder Gewissheit über den Ausgang, sondern aus der Überzeugung heraus, dass sie es bewältigen können. Es ist weniger eine Erwartungshaltung, als vielmehr ein aktives Zuschreiben von Kompetenz und Entwicklungspotenzial.
Was andere uns zutrauen, ist meist bezeichnender für sie als für uns.
Marie von Ebner-Eschenbach
Vertrauen wird oft retrospektiv gebildet und basiert auf bisherigen Erfahrungen. Zutrauen ist hingegen eher in die Zukunft gerichtet. Es schafft einen Möglichkeitsraum für Wachstum. Es ermutigt Menschen, über sich hinauszuwachsen, weil ihnen etwas zugetraut wird. Zutrauen bedeutet nicht blinder Glauben an Erfolg, sondern das bewusste Akzeptieren von Unsicherheit – mit der Überzeugung, dass Lernen und Entwicklung auch durch Fehler und Herausforderungen entstehen.
Aus psychologischer Sicht spielt Zutrauen eine zentrale Rolle für Selbstwirksamkeit und Motivation:
- Förderung der Selbstwirksamkeit: Wenn Menschen spüren, dass ihnen etwas zugetraut wird, steigt ihre Überzeugung, schwierige Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit ist einer der wichtigsten Faktoren für Motivation und persönliches Wachstum.
- Reduktion von Angst und Vermeidungsverhalten: Zutrauen kann Unsicherheiten abmildern, weil es signalisiert, dass Fehler Teil des Lernprozesses sind und nicht sanktioniert werden.
- Aufbau positiver Beziehungen: Zutrauen ist eine Form der Anerkennung. Es stärkt die Verbindung zwischen Mitarbeitenden, weil es auf Wertschätzung und Entwicklungspotenzial basiert.
Aus systemtheoretischer Perspektive ist Zutrauen ein Mechanismus zur Gestaltung von Handlungsräumen. Während Vertrauen oft als binäre Größe (“vorhanden oder nicht vorhanden”) diskutiert wird, erlaubt Zutrauen eine differenzierte Steuerung: Es kann graduell erweitert oder angepasst werden. Zudem reduziert Zutrauen nicht nur Komplexität, sondern ermöglicht es Organisationen, mit Unsicherheiten produktiv umzugehen, anstatt sie eliminieren zu wollen. Tools wie “Delegation Poker” zeigen, wie differenziert die Übergabe von Verantwortung und damit Zutrauen zugeschrieben werden kann.
Herausforderungen bei Zutrauen in Organisationen
So überzeugend das Konzept des Zutrauens auch klingt, bringt auch diese Umsetzung (natürlich) ein paar Herausforderungen mit sich, die man nicht außer Acht lassen sollte:
- Nicht jeder kann mit Zutrauen umgehen: Manche Mitarbeitende fühlen sich durch Zutrauen motiviert, andere erleben es als überfordernd. Zutrauen darf daher nicht mit überzogenen Erwartungen verwechselt werden – es braucht begleitende Unterstützung und Reflexion.
- Zutrauen muss glaubwürdig sein: Es genügt nicht, Zutrauen verbal auszusprechen, wenn es nicht durch Handlungen gestützt wird. Ein inkonsistentes Verhalten, bei dem Zutrauen nur situativ oder widersprüchlich gelebt wird, kann Unsicherheit verstärken statt reduzieren.
- Kulturelle und individuelle Unterschiede: Während einige Menschen Zutrauen als Chance wahrnehmen, kann es in Kulturen mit stark hierarchischen Prägungen als fehlende Führung oder mangelndes Interesse missverstanden werden. Daher muss Zutrauen kontextsensitiv eingesetzt werden.
- Zutrauen ist keine Einbahnstraße: Nicht nur Personen in Führungsrollen sollten Zutrauen aussprechen, sondern auch Teams und Mitarbeitende sich gegenseitig. Eine Organisation, die Zutrauen nur “von oben” denkt, verkennt das Potenzial verteilter Verantwortung und kooperative Zusammenarbeit.
Die Balance zwischen Zutrauen und Kontrolle
Ein häufiger Einwand gegen Zutrauen ist die Frage nach Kontrolle. Allerdings bedeutet Zutrauen nicht, auf Steuerung oder Absicherung völlig zu verzichten. Im Gegensatz zu Vertrauen, das sich schwer mit Kontrolle vereinbaren lässt, ersetzt Zutrauen Kontrolle nicht, sondern verändert ihre Funktion.
- Zutrauen bedeutet nicht Beliebigkeit: Zutrauen setzt klare Erwartungen und Rahmenbedingungen voraus. Es geht nicht darum, Mitarbeitende ins Ungewisse zu schicken, sondern ihnen realistische Herausforderungen zuzumuten.
- Kontrolle als unterstützendes Element, nicht als Ausdruck von Misstrauen: Statt Kontrolle als Gegenpol zu Zutrauen zu begreifen, kann sie als Feedbackinstrument dienen. Transparente Überprüfungsmechanismen sind nicht zwangsläufig ein Zeichen von Misstrauen, sondern können Sicherheit und Orientierung bieten.
- Fehlerfreundlichkeit, aber nicht Verantwortungslosigkeit: Zutrauen bedeutet nicht, dass Fehlentscheidungen folgenlos bleiben. Es braucht einen klaren Fokus auf und ein gemeinsames Verständnis zum Umgang mit Fehlern, in der Verantwortung übernommen wird, ohne dass Angst vor Sanktionen produktives Handeln blockiert.
Wie lässt sich Zutrauen in Organisationen gezielt fördern?
Damit Zutrauen nicht nur ein individuelles Prinzip bleibt, sondern systematisch in Organisationen verankert werden kann, braucht es strukturelle Bedingungen, die ein wichtiger Bestandteil in der Organisations- und Führungsgestaltung ist.
- Gestaltung sinnvoller Verantwortungsräume: Teams sollten Entscheidungsfreiheit in ihrem Kompetenzbereich erhalten. Mikromanagement ist ein Vertrauenskiller, während sinnvolle Verantwortungsübergabe Zutrauen stärkt. Gleichzeitig kann der Verantwortungsraum klar abgegrenzt werden, ohne sich in “du vertraust uns nicht Diskussionen” zu verlieren.
- Transparente Kommunikation über Erwartungen und Spielräume: Zutrauen funktioniert nur, wenn klar ist, was innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen möglich ist und wo Unterstützung oder Rückmeldeschleifen notwendig bleiben.
- Lernkultur institutionalisieren: Wer Zutrauen fördern will, muss ein Umfeld schaffen, in dem Fehler kritisch betrachtet aber nicht bestraft, sondern reflektiert und als Entwicklungschancen genutzt werden.
- Bewusste Vorbilder in Führungsrollen: Personen in Führungsrollen, die selbst um Hilfe bitten, sich herausfordernden Aufgaben stellen und offen über ihre eigenen Lernprozesse sprechen, senden das Signal, dass Zutrauen und Weiterentwicklung zusammengehören.
- Mitarbeitende in die Lage versetzen, mit Zutrauen umzugehen: Zutrauen allein genügt nicht. Es braucht gezielte Unterstützung durch eine entsprechende Kompetenzentwicklung, damit sich Menschen die ihnen zugetrauten Aufgaben auch tatsächlich selbst zutrauen, um keine Überforderung zu erzeugen.
Die Verbindung
Zutrauen ist mehr als eine Alternative zu Vertrauen oder psychologischer Sicherheit – es ist ein aktives Prinzip, das Organisationen handlungsfähiger macht. Während Vertrauen retrospektiv gewährt wird und psychologische Sicherheit von individuellen Wahrnehmungen abhängt, setzt Zutrauen auf ein zukunftsgerichtetes Entwicklungsverständnis. Es ist eine bewusste Entscheidung, Menschen etwas zuzutrauen – nicht, weil Erfolg garantiert, sondern weil Wachstum ohne Herausforderungen nicht möglich ist.
Personen in Führungsrollen und Organisationen insgesamt mit allen Mitarbeitenden können Zutrauen aktiv gestalten, indem sie klare Verantwortungsräume definieren, Entwicklung ermöglichen und eine Kultur der Reflexion und Unterstützung schaffen. Zutrauen ist nicht blindes Vertrauen, sondern eine Haltung, die den Möglichkeitsraum für Menschen und Organisationen erweitert.
Der Weg zu resilienten Organisationen
Zutrauen kann als Brücke zwischen Vertrauen und psychologischer Sicherheit verstanden werden. Während Vertrauen und psychologische Sicherheit wünschenswert und wichtige Konzepte für Zusammenarbeit in Organisationen sind, bietet Zutrauen einen pragmatischeren und aktiver gestaltbaren Ansatz zur Organisations- und Führungsgestaltung. Es ermöglicht Menschen, konkret an einer Arbeitsumgebung zu arbeiten, die Vertrauen und psychologische Sicherheit fördert, ohne diese direkt erzwingen zu wollen und es unterstützt die Idee demokratisierter Führung, weil mehr Menschen in Verantwortung für Entscheidungen gebracht werden können – in dem Maße, in denen man es ihnen aus Sicht von Organisation, Risiko und den Menschen selbst zutraut.
Die Herausforderung bleibt, eine Balance zu finden zwischen dem Wunsch nach Kontrolle und der Notwendigkeit, loszulassen. Zutrauen erfordert Mut, sowohl von den Menschen, die Zutrauen aussprechen als auch von denen, denen etwas zugetraut wird. Die potenziellen Gewinne, in Form von Engagement, Innovation und Wohlbefinden, machen es zu einer sich lohnenden Herausforderung und mit gut kalkulierbaren Risiken.
In einer Welt, die zunehmend durch Ungewissheit und Komplexität geprägt ist, kann Zutrauen ein Schlüssel sein, um leistungsfähige Organisationen zu schaffen. Es ist an der Zeit, vom Beschwören des Vertrauens und der psychologischen Sicherheit zum aktiven Gestalten einer Organisation des Zutrauens überzugehen. Denn letztendlich lässt sich so das Potenzial jedes Menschen und Teams und in jeder Organisation zur Entfaltung zu bringen und das ist ein wichtiger Hebel zu leistungsfähigen, resilienten und flexiblen Organisationen.
(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)