Zukunft der Führung: Flexible Strukturen für resiliente Teams

Die modernen Arbeitswelten, geprägt von Digitalisierung, globaler Vernetzung und ständigem Wandel, erfordern eine grundlegende Neubewertung von Führung und Organisationsstrukturen. Starre Hierarchien und traditionelle Führungsansätze stoßen in vielen Geschäftsfeldern zunehmend an ihre Grenzen.

Die Antwort auf diese Herausforderungen liegt in flexiblen, selbstorganisierten und dezentralen Strukturen, die nicht nur die Resilienz von Teams steigern, sondern auch ihre Handlungsfähigkeit in unsicheren Zeiten sichern. Führung muss nicht mehr als die Verantwortung einer einzelnen Person in pyramidial organisierten Hierarchien verstanden werden, sondern als ein sozialer Prozess, der von allen getragen wird und auf die spezifischen Anforderungen einer sich ständig verändernden Umgebung reagiert.

Willkommen zurück zum letzten Teil in der Serie über Führung in modernen Organisationen! In den letzten Beiträgen haben wir beleuchtet, wie Führung als soziale Dynamik in Teams wirkt – und was geschieht, wenn entweder niemand führt oder alle es gleichzeitig versuchen und was der Unterschied zwischen Führung und Management ist. Heute richten wir den Blick auf die Zukunft von Führung. Auch der vierte und letzte Teil basiert auf den Überlegungen zu meinem Vortrag “Wenn keiner führt, wo führt das hin?” und dem Artikel “Wenn alle führen – oder keiner” im Personalmagazin “Neues Lernen”.

Führung als sozialer Prozess

In modernen Organisationen wird Führung zunehmend als ein dynamischer und gemeinschaftlicher Prozess verstanden, der sich nicht alleine auf eine einzelne Führungskraft stützt. Stattdessen wird die Verantwortung auf das gesamte Team verteilt. Diese Perspektive fördert ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstorganisation und das ist eine gute Grundlage für eine flexible und anpassungsfähige Arbeitsweise. Mitarbeitende sind nicht länger nur passive Empfänger von Anweisungen, sondern aktive Mitgestaltende kontinuierlicher Veränderungsprozesse.

Personen in expliziten Führungsrollen müssen sich von alten autoritären Denkweise lösen und Verantwortung für Führung verteilen und in Teams übertragen. Gleichzeitig bleibt die Notwendigkeit bestehen, in Krisen handlungsfähig zu bleiben und Entscheidungen im Sinne der Organisation sicherzustellen, auch wenn Teams an ihre Grenzen kommen, einem neuen Kurs nicht folgen oder von den Interessen der Organisation abweichen. Flexible Führung bedeutet, die Autonomie der Mitarbeitenden zu fördern, ohne die notwendige Struktur und Richtung aus den Augen zu verlieren.

Die Aufmerksamkeitsstufen aus der transformativen Autorität

Alte Verhaltensweisen und aus hierarchischen Strukturen gewohnte Vorgehensweisen von Führungskräften müssen einem neuen Verständnis und anderem Vorgehen folgen. Frank Baumann-Habersack unterscheidet in seinem Modell der transformativen Autorität zwischen verschiedenen Formen von Aufmerksamkeit, die Führungskräfte in unterschiedlichen Situationen einsetzen sollten:

  • Gelassene Aufmerksamkeit: Diese Form der Führung ist besonders geeignet, wenn Mitarbeitende selbstständig arbeiten und kreative Lösungen entwickeln sollen. Führungskräfte greifen nur minimal ein und schaffen so Raum für Eigenverantwortung und Selbststeuerung.
  • Fokussierte Aufmerksamkeit: Wenn Probleme gezielt angegangen werden müssen erfordert es, dass Führungskräfte klarer eingreifen, ohne jedoch die Eigenständigkeit der Mitarbeitenden zu untergraben. Diese Form der Führung ist besonders in kritischen Situationen wichtig, in denen schnelle, aber durchdachte Entscheidungen nötig sind.
  • Direktive Maßnahmen: In extremen Krisensituationen kann es notwendig sein, dass Führungskräfte direkt eingreifen. Dieser Eingriff sollte jedoch vorübergehend und im Kontext des gemeinsamen Lernens geschehen. Die Mitarbeitenden sollten durch klare Kommunikation und mindestens durch anschließende Reflexionsrunden verstehen, warum solche Maßnahmen ergriffen wurden und was nötig wird, damit das zukünftig vermieden werden kann.

Das Konzept der Autorität unterscheidet sich dabei von Macht: Während Macht häufig mit Kontrolle und Zwang verbunden ist, basiert Autorität auf Respekt und Vertrauen. Die Autorität ausübende Person in einer Führungsrolle ermöglicht es den Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen, während sie sie gleichzeitig unterstützt, auf dem richtigen Weg hält und in Krisen die Organisation mit ihren Menschen schützt.

Der Unterschied zwischen direktiver und autoritärer Führung

Direktive Führung ist besonders wichtig, wenn schnelle Entscheidungen oder klare Anweisungen erforderlich sind, beispielsweise in Krisensituationen oder bei dringenden Problemen. Sie dient dazu, das Team gezielt durch eine Herausforderung zu steuern, ohne dabei die Eigenständigkeit der Mitarbeitenden dauerhaft zu beeinträchtigen. Dieser Führungsstil ist temporär und darauf ausgerichtet, schnell effektive Lösungen zu erzielen, während die langfristige Autonomie der Mitarbeitenden respektiert wird. Ein Beispiel hierfür wäre eine Führungskraft, die in einer kritischen Situation klare Vorgaben macht, um eine gemeinsame Ausrichtung zu gewährleisten und gezielt zu handeln.

Im Gegensatz dazu ist der autoritäre Führungsstil durch eine dauerhafte hierarchische Kontrolle gekennzeichnet. Entscheidungen werden von oben nach unten getroffen, oft ohne Input des Teams. Diese Art der Führung nutzt Macht und Kontrolle, um Mitarbeitende zu steuern und lässt wenig Raum für Eigenverantwortung oder Mitbestimmung. Langfristig kann dieser Führungsstil zu Abhängigkeit, Motivationsverlust und einem Mangel an Eigeninitiative führen, insbesondere in kreativen oder wissensintensiven Arbeitsfeldern.

Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Ansätzen liegt in ihrer Zielsetzung und Dauer. Direktive Führung ist flexibel und situativ, eine gezielte Intervention, die sich auf spezifische Herausforderungen konzentriert. Sie bewahrt die Balance zwischen klarer Führung und der Förderung von Eigenverantwortung und Selbststeuerung. Autoritäre Führung hingegen basiert auf starrer Kontrolle. Das kann Unzufriedenheit bis hin zu Widerstand erzeugen, da sie die Mitarbeitenden in eine passive Rolle ohne Gestaltungsspielraum drängt. Auch wenn direktive Führung in kritischen Momenten unverzichtbar sein kann, bleibt es wichtig, die Mitarbeitenden wann immer sinnvoll möglich in Entscheidungen einzubinden.

Dezentralisierung für mehr Flexibilität

Ein zentrales Element moderner Führung ist die Dezentralisierung von Entscheidungen. Teams erhalten mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum. Das erhöht die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Organisation. Diese Form der Führung stellt sicher, dass Entscheidungen schneller und näher an den tatsächlichen Herausforderungen getroffen werden können, ohne dass jedes Detail von einer Führungskraft absegnet werden muss.

Wichtig ist dabei, dass die Ziele der Organisation klar bleiben, die Mitarbeitenden aber in die Umsetzung und Anpassung der Lösungen eingebunden werden. Führungsverantwortliche müssen den Mitarbeitenden den nötigen Raum lassen, um eigenständig zu arbeiten, ohne die Kontrolle über die übergeordnete Strategie zu verlieren.

Einfaches durch Prozesse abdecken

In vielen Bereichen ist es sinnvoll, standardisierte Prozesse zu etablieren, die Führung durch Menschen entlasten. Besonders eignen sich hier Arbeitsabläufe, die verlässlich und dauerhaft im Team oder der Organisation gleich ablaufen sollen oder müssen. Durch klare und wiederholbare Prozesse können viele Aufgaben schnell und effizient erledigt werden, ohne dass jedes Mal eine Entscheidung in der Führung getroffen werden müssen. Das spart nicht nur Zeit, sondern gibt den Mitarbeitenden mehr Spielraum, ihre Arbeit generell effizient zu erledigen und Verantwortung dort zu übernehmen, wo es für Entscheidungen im Sinne der Organisation notwendig ist.

Führung teilen für Demokratisierung

Die Demokratisierung von Führung bedeutet, dass Entscheidungen nicht nur von einer Führungskraft getroffen werden, sondern in verteilten Führungsrollen von vielen oder auch allen Mitarbeitenden gemeinsam getragen werden. Menschen in Führungsrollen müssen in der Lage sein, Verantwortung und Macht zu teilen und die Mitarbeitenden mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln und Expertisen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dieser kollektive Führungsansatz stärkt bei vielen Kreativitäts- und Wissensarbeitenden das Engagement und die Motivation und fördert ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl im Team.

Widerstand als Funktion im System

Widerstände sind ein natürlicher Bestandteil jeder Veränderung und jeder Zusammenarbeit in Organisationen. Systemtheoretisch betrachtet haben Widerstände eine wichtige Funktion: Sie verhindern, dass Veränderungen unreflektiert oder zu schnell umgesetzt werden. Widerstand hilft dabei, Schwachstellen und potenzielle Fehlerquellen in einem System zu identifizieren, die andernfalls übersehen worden wären.

Psychologisch gesehen entsteht Widerstand oft aus Angst vor Veränderung und dem Verlust von Sicherheit. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass Veränderungen sie überfordern oder dass ihre Bedenken nicht gehört werden, kann dies zu Widerstand führen.

Um Widerstand zu reduzieren, müssen Veränderungsprozesse transparent und nachvollziehbar sein. Alle Mitarbeitende müssen informiert und bestmöglich in den Prozess eingebunden zu sein. Dazu gehört auch für Verständnis zu sorgen, warum bestimmte Veränderungen notwendig sind. Eine Führung, die auf Transparenz, Vertrauen und partizipativer Gestaltung basiert, verringert Widerstand gegen Führung und fördert die Akzeptanz von Veränderungen, auch wenn ein Verständnis bestehen muss, dass nicht alle in jede Entscheidung und in jeden Prozess involviert werden.

Freiraum für situative Ausgestaltung

Die Organisation muss genügend Freiraum für die Mitarbeitenden lassen, um in unterschiedlichen Situationen flexibel agieren zu können. Situative Führung bedeutet, dass die Führungsverantwortliche je nach Bedarf zwischen unterschiedlichen Arten der Führung wechseln kann und darf – abhängig von der jeweiligen Situation. Wenn keine klaren Vorgaben existieren, können Teams selbstständig Lösungen entwickeln, was sowohl Eigeninitiative als auch Kreativität fördert. Die Fähigkeit situativ zu führen gewährleistet, dass Entscheidungen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort getroffen werden. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind hierbei von zentraler Bedeutung.

Risiken und Grenzen flexibler Führung

Flexible und situative Führung bringt viele Vorteile, allerdings auch Herausforderungen mit sich, die nicht ignoriert werden dürfen. Zu viel Autonomie kann in Teams zu Unsicherheiten führen, insbesondere wenn klare Ziele oder Leitplanken fehlen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Verantwortung ungleich verteilt wird und sich einzelne Mitarbeitende überlasten, während andere eher passiv bleiben. Die richtige Balance zwischen Freiheit und Struktur zu finden, ist essenziell. Außerdem kann eine übermäßige Dezentralisierung zu starker Abgrenzung und übermäßige Innensicht in eigene Teams führen. Wenn in diesem Fall formelle Führung nicht rechtzeitig eingreift, erschwert das die Gesamtkoordination und kann zu großem Schaden für das Unternehmen werden.

Formelle Führung, wo notwendig

Trotz der Betonung von Flexibilität und Dezentralisierung ist es in bestimmten Situationen notwendig, dass formelle Führungsstrukturen bestehen. In Krisenzeiten oder bei schwerwiegenden Konflikten innerhalb der Organisation ist es entscheidend, dass klare Entscheidungen getroffen werden, um den Kurs der Organisation zu steuern. In diesen Momenten muss Führung klar und entschlossen handeln. Der Vorteil aufwändigerer partizipativer Prozesse wird in Situationen, die vor allem schnelle Entscheidungen erfordern, zum Nachteil. Formelle Führung bleibt notwendig um sicherzustellen, dass die Organisation in Krisenzeiten handlungsfähig und orientiert bleibt, um nicht in einem Zustand der Unentschlossenheit oder Verwirrung zu verharren. Führungsverantwortliche müssen Risiken aktiv im Blick behalten und flexibel eingreifen können, um sicherzustellen, dass das Unternehmen handlungsfähig und auf Kurs bleibt.

Abschließende Handlungsempfehlungen:

  1. Verantwortung verteilen: Fördert Eigenverantwortung und Selbstorganisation innerhalb des Teams, indem Führung als ein soziale Prozess verstanden wird.
  2. Situativ führen: Nutzt die verschiedenen Aufmerksamkeitsstufen von Baumann-Habersack, um situativ und flexibel auf die Anforderungen an Führung in den jeweiligen Situationen zu reagieren.
  3. Vertrauen aufbauen: Reduziert Widerstände, indem transparent kommuniziert wird und Mitarbeitenden aktiv in kontinuierliche Veränderungsprozess einbezogen werden.
  4. Freiraum geben: Gewährleistet, dass Teams die Freiheit haben, Verantwortung zu übernehmen um in verschiedenen Situationen flexibel zu handeln.
  5. Formelle Führung in Krisen: In kritischen Momenten sollten formelle Führungsstrukturen erhalten bleiben, um die Handlungsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten und einzugreifen, wenn Verantwortung an notwendigen Stellen nicht übernommen oder Entscheidungen nicht im Sinne der Gesamtorganisation getroffen werden.

Diese Prinzipien bieten einen soliden Rahmen für die Führung von morgen: flexibel, partizipativ und widerstandsfähig gegenüber den Herausforderungen einer sich ständig verändernden Arbeitswelt.

Sie werden außen kein anderes Business realisieren können, wenn Sie innen keine anderen Strukturen haben.

(Winfried Felser)

Zu guter Letzt

Die Serie zur Führung in Selbstorganisation hat gezeigt, wie zentral die Rolle von Führung für kreative und produktive Zusammenarbeit ist – und welche Herausforderungen entstehen, wenn sie fehlt oder falsch verstanden wird. Im ersten Artikel wurde deutlich, dass das Fehlen von Führung nicht zwangsläufig zu Freiheit und Kreativität führt, sondern oft zu Chaos und Orientierungslosigkeit. Ein gemeinsames Ziel braucht jemanden, die den Weg aufzeigt, Entscheidungen unterstützt und Räume schafft, in denen Teams wachsen können.

Im zweiten Artikel wurde beleuchtet, was passiert, wenn alle führen wollen: Machtkämpfe und Ego-Kollisionen stehen im Vordergrund, anstatt dass Energie auf das gemeinsame Ziel gelenkt wird. Hier zeigt sich, dass Führung nicht in Konkurrenz, sondern in Balance wirken sollte. Im dritten Artikel schließlich wurde die Essenz von Führung und Management herausgestellt: Beide gehören untrennbar zusammen, um Stabilität und Innovation in einem System in Einklang zu bringen.

Der vierte Teil richtete den Blick nach vorne und zeigte auf, wie Führung in einer Welt des Wandels neu gedacht werden kann. Statt auf starre Hierarchien setzt die Zukunft auf flexible, dezentrale Strukturen, die Teams in die Lage versetzen, eigenverantwortlich zu agieren. Führung wird zu einem dynamischen, geteilten Prozess, der situativ auf die Anforderungen reagiert: gelassene Aufmerksamkeit für kreative Freiräume, fokussierte Eingriffe bei Problemen und direktives Handeln in Krisen. Diese Prinzipien, kombiniert mit Vertrauen, Transparenz und klaren Strukturen, die auch formelle Führung nicht völlig ausklammern, fördern Resilienz und Anpassungsfähigkeit – denn nur wenn Führung klar und flexibel zugleich ist, können Organisationen erfolgreich durch Unsicherheit navigieren. So können Teams das Beste aus beiden Welten vereinen: Eigenverantwortung und gemeinsames Wachstum in einem sicheren Rahmen, der Stabilität und Innovation gleichermaßen ermöglicht.

Hier findest du noch die Links zu den vergangenen Artikeln.

Die Serie basiert auf meinem Vortrag “Wenn keiner führt, wo führt das hin?”.
Hier weitere Links zu dem Thema:

(Das Bild ist mit FluxProAI generiert.)

About the author

Daniel Dubbel

Agility Master | COO, HOUSE OF MOBILE @ DB Systel | Deutsche Bahn
Agile Transformation & Digital Strategy Expert | P&L Leader | Driving Growth through Innovation & Organizational Change | C-Level Advisor

By Daniel Dubbel

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